Der Krieg um den Afghanistan-Krieg

(c) AP (Abdul Khaleq)
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Starke Taliban, hohe Opferzahlen, suspekte Regierung: Immer mehr Nato-Staaten hinterfragen die Sinnhaftigkeit ihres Engagements in Afghanistan. Nur wie man den Ausstieg schafft, weiß derzeit niemand.

Der Krieg in Afghanistan fordert täglich neue Opfer, die Zahlen werden routiniert aufgelistet. Den Weg in die Schlagzeilen finden sie nach fast acht Jahren Krieg allerdings nur noch dann, wenn – wie in den letzten Tagen – ausländische Soldaten betroffen sind. Seit 2001 war das 999 Mal der Fall.

Nun aber könnte der Krieg in Afghanistan seinen bisher spektakulärsten Abschuss landen: den politischen Willen der westlichen Gemeinschaft, den „langen Krieg“ wie bisher mit großem Aufwand und ungewissem Ausgang fortzusetzen. Der Nato-Oberkommandierende in Europa, General John Craddock, warnt, dass das politische Bekenntnis jener Staaten, die mit UNO-Mandat in Afghanistan im Einsatz sind, „mittlerweile ins Wanken geraten ist“.

Destabilisierend wirkt vor allem, dass trotz fast acht Jahre langem Engagement die Lage in Afghanistan immer problematischer wird. Die 52.000 Isaf-Truppen zusammen mit 14.000 amerikanischen Anti-Terror-Spezialeinheiten können für ihre Verluste nicht viel vorweisen. Die Sicherheitslage ist so prekär wie seit Jahren nicht mehr, die Bevölkerung ist frustriert, weil es keine greifbaren Fortschritte gibt – dafür aber immer wieder tote Zivilisten bei Nato-Operationen. Die Taliban führen ihre Anschläge immer effizienter durch. Neue, radikalere Gruppen, die mit der al-Qaida und den Taliban in Pakistan in engem Kontakt stehen, drängen an die Spitze.

Konsens darüber, wie dieser „afghanische Knoten“ gelöst werden sollte, gibt es im Westen keinen. Auch wenn „die Nato an dieser Frage nicht zerbrechen wird“ (Citha Maaß, Afghanistan-Expertin der Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik), liegen die Meinungsunterschiede in den Allianzstaaten blank. Der einzige Punkt, an dem sich alle treffen, ist, dass der Krieg in Afghanistan mit militärischen Mitteln allein nicht gewonnen werden kann. Dies betonte vor kurzem auch Brigadier Mark Carleton-Smith, der ranghöchste britische Befehlshaber in Afghanistan. Die Gretchenfrage ist, wie man die Situation so weit stabilisieren kann, dass das Land funktionsfähig wird und Isaf ohne Gesichtsverlust aussteigen kann.

USA, Briten für mehr Truppen

Die USA wollen dies mit zusätzlichen Truppen erreichen. Beide Präsidentschaftskandidaten haben dies zugesagt und Afghanistan zur Priorität erklärt. Der Demokrat Barack Obama will drei Brigaden schicken (je rund 12.000 Mann). In Großbritannien übernimmt General David Richards das Kommando über die britische Armee. Der frühere Isaf-Kommandant in Afghanistan tritt für 30.000 zusätzliche Soldaten ein.

Aus deutschen Kreisen ist andererseits zu hören, dass eine deutliche Erhöhung der ausländischen Truppenpräsenz kontraproduktiv wäre, da sie als „Besatzung“ empfunden werden könnte. „Afghanistan verträgt aufgrund seiner Geschichte nicht so viele Truppen wie der Irak“, meint Citha Maaß.

Wichtig sei hingegen, dass der Westen seine Definition von einem erfolgreichen Ausgang des Afghanistan-Feldzugs „realistisch herabstufe“, sagt Maaß – auch wenn er daran „schwer zu schlucken haben wird“. Eine Demokratie im westlichen Sinn wird von den meisten Experten nämlich mittlerweile als unerreichbar gesehen, ebenso ein endgültiger Sieg über die Taliban.

In den Vordergrund tritt da der Wunsch, die Sicherheitssituation mithilfe lokaler Kräfte zu stabilisieren und eine Regierung zu hinterlassen, die sich ungefähr an die Prinzipien der guten Staatsführung hält – wenn wohl auch mit starkem afghanischen Einschlag.

Umsetzen ließ sich bisher allerdings keines dieser Ziele. Da die Bevölkerung noch immer auf die konkreten Vorteile des westlichen Engagements wartet, driften viele Afghanen in die Arme der Taliban und zum verhältnismäßig lukrativen Anbau von Opium – aus der Provinz Helmand kam 2007 die Hälfte der weltweiten Produktion.

Bevölkerung verliert Vertrauen

„Die Entwicklungs- und Hilfsorganisationen, die nach den Militärkräften ins Land kommen sollten, sind zu langsam“, kritisiert Colonel Christopher Langton vom Internationalen Institut für Strategische Studien in London. „Es gibt kaum Fortschritt, dafür aber viele Menschen, die das Vertrauen verloren haben.“ Langton räumt jedoch ein, dass viele Hilfsorganisationen Afghanistan für zu unsicher halten, um ihre Leute zu schicken. Zu Recht, wie der Mord an einer Entwicklungshelferin mitten in Kabul am Montag bewies.

Das zweite Problem ist Präsident Hamid Karzai, der 2009 zur Wiederwahl antritt. Er gilt als schwächer denn je. Sein Einfluss reicht gerade bis an die Stadtgrenze Kabuls, seine Mannschaft sorgt mit Korruption für Schlagzeilen. Gerade erst wurde der Innenminister ausgetauscht, dessen Behörde mit Taliban-Drogengeschäften in Verbindung gebracht worden war.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.10.2008)

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