Tibet: China verhandelt nicht mehr mit dem Dalai Lama

(c) Reuters (Toru Hanai)
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Peking erklärt die Gespräche über Tibet für gescheitert. Nur wenige Intellektuelle distanzieren sich von der offiziellen Linie.

Peking(ag; lie). Am Montag gab China dem Dalai Lama voll und ganz recht – in dessen Feststellung, die Gespräche zwischen Peking und der tibetischen Exilführung seien gescheitert. Schon vor der jüngsten Verhandlungsrunde vergangene Woche hatte das geistliche und weltliche Oberhaupt der Tibeter gemeint, seine Bemühungen um größere Autonomie seien erfolglos. Peking zog nun offiziell einen Schlussstrich unter die Verhandlungen und gab dem Dalai Lama die Schuld, der vor neuen Gesprächen seine „separatistischen Meinungen und Handlungen aufgeben“ müsse.

Der Dalai Lama hat für 17. November einen Rat von Vertretern der Exilgemeinde einberufen, um über die künftige Strategie nachzudenken. Viele jüngere Tibeter sind unzufrieden, weil der friedliche Weg und der Verzicht auf einen eigenen Staat keine Zugeständnisse Chinas erbracht hat.

Hasstiraden toleriert

Gebetsmühlenartig betonen derweil die KP-Funktionäre, der Dalai Lama täusche die Welt und strebe die Unabhängigkeit Tibets an. In der kontrollierten Presse erscheint er als Lügner und Verräter, der Gewaltlosigkeit predige, aber das Land spalten wolle. Linientreue Tibet-Experten erklären im TV, der Dalai Lama wolle Leibeigenschaft und Mönchsherrschaft wiederherstellen, die bis zur „Befreiung“ durch chinesische Truppen 1950 auf dem Dach der Welt herrschten.

Diese Sicht kommt bei vielen gut an. Wer nie eine andere Version als die der KP kennengelernt hat, hält die These für absurd, dass Tibet nicht immer zu China gehört hat. Ein Blick in chinesische Internet-Foren zeigt, wie hart diese Haltung derzeit ist. Nicht wenige Teilnehmer verlangen sogar: „Tötet den Dalai Lama.“ Die Internet-Zensoren – sonst in politisch heiklen Fällen schnell mit dem Finger auf der Löschtaste – tolerieren die Hasstiraden.

Droht Massenaufstand?

Nur wenige Intellektuelle distanzieren sich von der offiziellen Linie. Der Pekinger Autor Wang Lixiong gehört dazu, kann seine Artikel aber nur im Ausland veröffentlichen. Sollte der Dalai Lama sterben, bevor er nach Tibet zurückgekehrt sei oder bevor sich die Situation in Tibet deutlich verbessert habe, werde es einen Massenaufstand geben, fürchtet Wang: „Ich sage voraus: Der nächste Aufruhr wird heftiger werden als im März 2008.“ Damals hatten tausende Tibeter in Lhasa Zuwanderer aus anderen Teilen Chinas angegriffen und viele Häuser in Brand gesetzt. Die Unruhen hatten auch auf tibetische Siedlungsgebiete in angrenzenden Provinzen übergegriffen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.11.2008)

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