Auf der rumänischen Überholspur

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Weder die Finanzkrise noch die Parlaments-Wahlen Ende November können die Stimmung in Bukarest trüben: Der Goldrausch in Europas Nachzüglerland hält an. Vorerst.

Die junge Frau mit dem braun-weiß-gestreiften Kapuzensweater blickt kurz von ihrem Lenovo-Laptop hoch, den sie auf einem Marmortischchen im schicken Cafepedia aufgeklappt hat. „Natürlich sollte ich mich für Politik interessieren, aber ich habe so viel anderes zu tun“, sagt Elena Gabriela Ene. Die 21-Jährige mit dem spitzen Näschen ist aus der Walachei nach Bukarest gekommen, um Französisch und Rumänisch zu studieren. Sie will hinaus in die Welt, nach Frankreich, nach Australien.

Die Anzug- und Doppelkinnträger, die an jeder zweiten Straßenecke Bukarests durch Stromleitungssalate von Wahlplakaten grinsen, sind ihr egal. Sie hat andere Sorgen, als zu grübeln, wen sie am 30. November in den gigantischen Parlamentspalast entsenden soll, den der kommunistische Diktator Nicolae Ceau?escu einst wie ein größenwahnsinniger Gott in Bukarests Altstadt schleuderte.

Mehr Kopfzerbrechen bereitet der Studentin die Finanzkrise. Denn davon ist sie betroffen. Ihr Vater ist aus der großen Aluminiumfabrik im südrumänischen Slatina entlassen worden. Jetzt muss ihre Mutter die Familie allein über Wasser halten: mit den 250 Euro, die sie jedes Monat als Kellnerin verdient. Mit diesem Geld könnte sich die Stipendiatin, die in einem Studentenheim lebt, im Zentrum der rumänischen Hauptstadt nicht einmal eine mickrige 40-Quadratmeter-Wohnung leisten. So verrückt hoch sind dort derzeit die Preise. Denn Bukarest boomt.

Unter der gläsernen Art-déco-Decke im Repräsentationssaal der Banca Comerciala Româna gibt es keine Krise. Lucian Anghel, Chefökonom in der Tochterbank der Ersten Österreichischen Sparkasse, wirft ein kubistisches Bild von Picasso an die Wand. „Le pigeon aux petits pois“, heißt es. „Wo können Sie hier eine Taube sehen?“, fragt Anghel. Es sei alles nur eine Frage der Wahrnehmung, Und so verhalte es sich auch mit Rumänien. Der rumänische Markt sei bei weitem nicht so riskant, wie er jetzt allseits dargestellt werde.

Er verweist auf die durchschnittliche Wachstumsrate von 6,6 Prozent, die das Land seit 2003 hat. Auf die acht Prozent, mit denen die Wirtschaft heuer wächst. Und auf die vier Prozent, die immer noch fürs nächste Jahr prognostiziert sind. Davon können andere Staaten nur träumen.

Österreicher machen den Schnitt

Als Anker erweist sich nun die EU, der Rumänien seit 1. Jänner 2007 angehört. Bis 2014 sollen 31 Milliarden Euro von Brüssel nach Bukarest fließen, zwölf Millionen Euro pro Tag. Der Abstand des agrarisch geprägten 22-Millionen-Einwohnerlandes zum wohlhabenden Europa ist groß. Da gibt es noch Raum für Entwicklung. Gerade einmal 214 Kilometer Autobahn ziehen sich derzeit durch Rumänien. Bis 2013 sollen es 2100 Kilometer sein. Vier bis fünf Flughäfen sind in Planung, ebenso der Ausbau des Eisenbahnnetzes.

Mit einer energische Geste, die an Louis de Funès erinnert, zählt Walter Friedl, der österreichische Handelsdelegierte in Bukarest, imaginäre Geldscheine herunter. In Rumänien, da stimmt das Geschäft. Und Österreicher machen mit einem Drittel aller Auslandsinvestitionen den großen Schnitt. 5000 Unternehmen sind mittlerweile in rot-weiß-roter Hand. Österreich ist die Nummer eins. Man sieht es an den Firmenlogos, die in ganz Bukarest leuchten: Erste, Raiffeisen, Billa, Wiener Städtische. Alle sind sie vertreten. Die österreichischen Geschäftsführer haben sich an diesem Abend bei Friedl zu Käsekrainer, Schnitzel, Bier und Weißwein eingefunden. Die Finanzkrise ist Thema Nummer eins. Doch anders als im Rest der Welt überwiegt hinter den Karpaten vorsichtiger Optimismus.

Um die rumänische Wirtschaft am Laufen zu halten, hat die Regierung jetzt auch noch ein Zehn-Milliarden-Konjunkturprogramm für die nächsten vier Jahre angekündigt. Cristian Popa, der Vizegouverneur der Zentralbank, hält das gar nicht für notwendig. „Unsere Wirtschaft hat genug Dampf“, sagt er. Doch in Rumänien ist Wahlkampf. Und da ist nicht jeder Vorschlag der Vernunft geschuldet. So beschloss das Parlament im Oktober, die Lehrergehälter von derzeit 300 Euro zu verdoppeln. Schon appellierte Premier Popescu Tariceanu an die Vernunft der Staatsangestellten.

Es sind verworrene politische Verhältnisse, die den Rumänen zugemutet werden. Seit Monaten sind sie Zeugen eines Bassena-Streits zwischen dem Premier und Präsident Basescu. Der eine ist Chef der Nationalliberalen (PNL); der andere, ein ehemaliger Schiffskapitän, prägt die Geschicke der konservativen Demokratisch-Liberalen Partei, die sich im Vorjahr mit Abtrünnigen der Nationalliberalen fusioniert haben. Der Hahnenkampf geriet außer Kontrolle, als der Premier den Präsidenten des Amtes entheben wollte. Basescu blieb; das Volk bestätigte ihn per Referendum im Amt.

„Die Securitate tötete nicht“

Jetzt ist die Zeit der Abrechnung gekommen. Basescus PD-L liegt in Umfragen mit über einem Drittel der Stimmen knapp vor den Sozialdemokraten, der ehemaligen KP, die nun Tariceanus Minderheitsregierung parlamentarisch duldet. Dessen Regierungspartei ist abgestürzt. Für die Lehrer-Gehaltserhöhung treten sowohl Sozialdemokraten als auch Konservative ein. Doch koalieren wollen sie nicht. Das schließt Anca Boagiu, die Vizepräsidentin der Demokraten, aus. Mit Tariceanu wird auch keine Kooperation möglich sein. Rumänien stehen lange Koalitionsverhandlungen bevor.

Nahe der russischen Botschaft, in einer Villa mit einer Holzbibliothek wie aus einem Harry-Potter-Film, kann man Cristian Diaconescu, den Vizechef der Sozialdemokraten, treffen. Der Mann hat offenbar eine Tendenz, das Erbe seiner kommunistischen Vorgängerpartei zu verniedlichen. Wie sonst könnte er behaupten, dass der berüchtigte Geheimdienst Securitate doch eh keine Menschen umgebracht habe? Schon nach einem kurzen Rundgang durch Parteizentralen dieses Landes kann es einen nicht verwundern, dass sich die Jugend von der Politik abgewendet hat.

Depeche Mode statt Ceau?escu

Es ist Nacht in Bukarest, zehn Uhr. Noch ist der Parkplatz vor dem Fratelli am Rande der Stadt leer. In einer Stunde wird hier die Jeunesse dorée mit ihren Geländewagen aufkreuzen. „Das sind Clubs hier wie in New York“, schwärmt ein Manager. Jetzt um diese Uhrzeit spielt sich das Leben anderswo ab. Gleich hinter der Zentralbank beginnt Lipscani. Das Leipziger Viertel erinnert irgendwie an Venedig, nur ohne Wasser: Das gesamte Gassengewirr ist aufgerissen, man muss über Holzplanken gehen. Eine einzige Baustelle. Gefeiert wird trotzdem.

Im Fire Club, einem Kellerlokal voll Bierdunst, legt ein DJ mit Schiebermütze Kaiser Chiefs, Placebo und 80er-Jahre-Musik auf. Jugendliche tanzen zu „I just can't get enough“. Den Song haben die britischen Depeche Mode 1981 aufgenommen. Damals war Ceau?escu vom Wahn besessen, Rumäniens Schulden zurückzuzahlen. Das Essen war rationiert, Fernsehprogramm gab es oft nur zwei Stunden pro Tag: Dann durften sich die Bürger an Folklore oder Führerreden erfreuen, nicht an Depeche Mode.

Der Geschichtsbruch beginnt zu heilen, nicht nur in den unterirdischen Welten des „Fire Club“. Rumänien holt auf.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.11.2008)

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