Nikolic: „Großserbien ist nur ein Traum“

(c) Reuters (Marko Djurica)
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Serbiens Oppositionsführer entdeckt den Westen. Nikolic war lange Vizechef der Serbischen Radikalen Partei. Er vertrat Vojislav Seslj, dem das Kriegsverbrecher-Tribunal in Den Haag den Prozess macht.

Die Presse: Vor kurzem galten Sie im Westen als Ultranationalist, nun als Pro-Europäer der rechten Mitte. Wie denken Sie über diesen Wandel in der Wahrnehmung Ihrer Person?

Tomislav Nikolic: Komisch ist vor allem, wie sich der Westen seine Lieblinge wählt. Je weniger sich jemand um Serbien kümmert, desto mehr wird er im Westen geliebt. Ich bin kein Ultranationalist – und auch nie einer gewesen. Doch wenn ein Serbe sagt, er sei Nationalist, ist er im Westen immer ein Ultra. Dabei liebe ich Serbien genauso so stark, wie Amerikaner Amerika lieben.

Zu Jahresbeginn wurden Sie fast zum Präsidenten gewählt. Nun müssen Sie mit Ihrer neuen Partei bei Null beginnen. Fällt Ihnen der Neubeginn schwer?

Nikoli?: Sehr. Die Radikale Partei war lang im Aufwind. Es schien nur eine Frage der Zeit, bis wir den „demokratischen Block“ ablösen. Doch der Aufstieg wurde von Vojislav Seselj gestoppt. Ich konnte mich aus der Politik zurückziehen – oder einen Neuanfang wagen. Mit der neuen Fortschrittspartei hatten wir nun einen ersten Test bei kommunalen Nachwahlen. Und der hat gezeigt, dass die Popularität der Radikalen auf uns beruhte – auf denen, die die Partei verlassen haben.

Fast Ihr ganzes politisches Leben haben sie sehr eng mit Radikalen-Chef Vojislav Seselj kooperiert, waren sein Statthalter. Nun der Bruch. Hat er sich geändert oder Sie sich?

Nikoli?: Wir beide. Seselj sitzt sechs Jahre im UN-Gefängnis. Doch um eine Partei zu führen, muss man frei sein – geistig und körperlich. Er denkt zunehmend sprunghaft, einmal so, einmal so. Und ich habe mich verändert, weil sich die Umstände veränderten. Vor acht Jahren waren wir gegen jede Art Kooperation mit der EU. Heute bejahen wir eine EU-Mitgliedschaft, sofern im Assoziierungsabkommen der Status des Kosovo als Teil Serbiens definiert wird.


Was war denn der Hauptgrund für die Spaltung der Partei?

Nikoli?: Mein Traum ist ein Serbien, das mit dem Westen und dem Osten kooperiert. Seselj kehrte zur Ideologie der 90er-Jahre zurück und schloss jegliche Zusammenarbeit mit dem Westen aus. Das war der fundamentale Konflikt. Doch auch verletzte Eitelkeit spielte eine Rolle. Seselj will die Partei alleine führen, absolutistisch. Ohne jemanden, der ihm widerspricht. Doch eine Partei muss mit der Zeit gehen und daran denken, Wahlen zu gewinnen und zu regieren – nicht nur zu opponieren.

Was ist der größte Unterschied zwischen Ihrer neuen Fortschrittspartei und den Radikalen?

Nikoli?: Bei den Radikalen ist jeder Kontakt mit westlichen Diplomaten verboten. Wir sind hingegen für alle Gespräche offen. Was den Kosovo angeht, unterscheiden wir uns nicht. Aber unser Kampf für den Kosovo geht davon aus, dass wir die Grenzen anderer UN-Mitglieder respektieren. Für mich ist zwar fraglich, ob Kroatien ein demokratischer Staat ist. Kroatien hat die Serben vertrieben – und erlaubt ihnen nicht, zurückzukehren. Aber ich stelle nicht die Grenzen in Frage.

Sie haben sich also von Großserbien, dem alten Ziel der Radikalen, verabschiedet?

Nikoli?: Das Ideal eines Großserbien ist nur ein Wunsch, ein Traum. Das habe ich auch so gesagt, als ich noch in der Radikalen Partei war. Und das haben mir dort manche verübelt. Ich weiß, dass Knin eine serbische Stadt ist. Aber sie liegt auf dem Territorium Kroatiens.

Was denken sie über die EU-Mission Eulex im Kosovo?

Nikoli?: Die EU hat sich im Kosovo viel zu stark eingemischt – und auf die albanische Seite geschlagen. Nun weiß sie nicht, wie sie sich aus dieser Situation herauswinden soll. Die EU installiert ihre Mission im Kosovo als eine Art Besatzung. Die Annahme, dass Serben alles akzeptieren müssen, was die EU fordert, provoziert nur Widerstand.

Können Sie sich vorstellen, irgendwann einmal Kosovo-Premier Hashim Thaçi die Hand zu geben?

Nikoli?: Nein, warum sollte ich das tun? Es ist immer noch nicht klar, ob er ein Kriegsverbrecher ist. Es gab nie einen Prozess in seinem Fall. Er ist der Mann, der einen Teil unseres Territoriums geraubt hat.

ZUR PERSON

Tomislav Nikoli? (*1952) war lange Vizechef der Serbischen Radikalen Partei. Er vertrat Vojislav ?e?elj, dem das Kriegsverbrechertribunal in Den Haag den Prozess macht. Im Herbst kam es über die EU-Politik zum Bruch; Nikoli? gründete die „Fortschrittspartei“.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.12.2008)

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