„Die Leute haben die internationale Bande satt“

(c) Reuters (Hazir Reka)
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Von Belgrad haben sich die Kosovaren gelöst. Nun hätten sie gerne auch die „Internationals“ weiter.

Prishtina. Kaltblütig versenkt Kreisläuferin Lumnije das Zuspiel ihrer Teamkollegin Artida im Netz, jubelnd reißen die Spielerinnen in den blauen Trikots vor den spärlich besetzten Rängen im Sportpalast von Prishtina die Arme hoch.

Doch den Ausgleichstreffer des kosovarischen Handballmeisters Prishtina im Freundschaftsspiel gegen die Besucherinnen aus dem mazedonischen Kale nimmt Izet Ghinovci nur am Rande wahr. Selbst Palästina könnte an den Olympischen Spielen teilnehmen, „aber unsere Sportler sind immer noch im Ghetto“, klagt der Generalsekretär des Handballverbands.

Die meisten Nationalteams des Landes könnten nicht einmal Freundschaftsspiele austragen, die besten Kosovo-Kicker spielten darum für Albanien, erzählt er. Der Ausschluss vom internationalen Kräftemessen sei für die heimischen Sportler eine Katastrophe: „Die Welt will das nicht sehen und hören. Dabei haben wir die Unabhängigkeit nicht im Alleingang durchgezogen, sondern uns mit Europa und USA abgestimmt.“

Tagelange Feiern wogten vor einem Jahr über die aus Anlass der Eigenstaatlichkeit in aller Eile verlegten Platten am Mutter-Teresa-Boulevard in Prishtina. Aber nicht nur der aus China importierte Billigmarmor weist ein Jahr nach der vom Westen unterstützten, aber vom schmollenden Ex-Mutterland Serbien abgelehnten Unabhängigkeit erste Risse auf. Nicht nur die miserable Wirtschaftslage und über 40 Prozent Arbeitslosigkeit trüben das Bild. Auch das anhaltende Störfeuer aus Belgrad und der Zickzackkurs internationalen Gemeinschaft machen dem bitterarmen Land zu schaffen.



„Auch wenn es nur langsam
vorangeht: Wir haben schon Schlimmeres erlebt.“

Fadil Muliqe, Kriegsveteran der UÇK

Von „Hindernissen und Widersprüchen“ spricht in seinem Büro auf den Anhöhen von Prishtina Lulzim Peci, Chef des renommierten Kipred-Instituts: Belgrad bemühe sich „mit allen Mitteln“ um eine Verfestigung der Trennung des serbisch dominierten Nordens vom Rest des Landes: „Auch wenn es öffentlich noch nicht eingeräumt wird, hat Belgrads Politik das Ziel, den Kosovo zu teilen.“ Die Spaltung der EU, in der fünf Mitglieder sich der Anerkennung des Kosovo nach wie vor verweigerten, behindere nicht nur die „Verwirklichung des Rechtsstaats, sondern auch das Funktionieren der EU-Justizmission Eulex“: „Statt sich zu vereinfachen, hat sich die Lage kompliziert: Die internationalen Missionen haben überlappende, teils widersprüchliche Mandate.“

Auf Vorbehalte trifft die neue Mission schon jetzt auf allen Seiten. „Eulex made in Serbia“, warnen Protestgraffiti in Prishtina, „Stoppt Eulex“, fordern Plakate im serbischen Nord-Mitrovica. „Ob Unmik oder Eumik – die Leute haben die ganze internationale Bande satt“, knurrt im Dampf zischenden Grillguts der Wirt der Imbissbude an der Hauptstraße der serbischen Enklave Gra?anica: „Die essen ihre Hilfe nur selbst auf.“

Kriminelle Parallelstrukturen

Szenenwechsel: Acht Schalter zählt das Zollamt von Süd-Mitrovica. Doch nur eine Putzfrau und ein Wachmann schlurfen am frühen Nachmittag durch die Halle. Noch würden sich „nicht alle“ der von Serbien in den Nordkosovo fahrenden Lkw melden, doch zumindest der offene Treibstoffschmuggel sei seit der Wiederbesetzung zweier zerstörter Grenzübergänge „drastisch gesunken“, berichtet in seinem kargen Büro Amtsleiter Bashkim Citaku.

Bislang würden die dort stationierten Eulex-Beamten die von Serbien eingeführten Waren aber nur registrieren, nicht verzollen. Als einen der „großartigsten Tage“ seines Lebens hat der hagere Staatsdiener den 17. Februar 2008 in Erinnerung. Doch beruflich sollte ihm die Ausrufung der Unabhängigkeit einen fast ein Jahr währenden Albtraum bescheren. Drei Tage lang brannten serbische Nationalisten in einer offenbar mit Belgrads Geheimdiensten koordinierten Aktion zwei Grenzübergänge nieder: „Lkw rollten plötzlich unkontrolliert über die Grenze, illegale eingeführte Waren wurden mit Hilfe albanischer Partner auch im Süden des Kosovo verbreitet“, berichtet Citaku. Nicht nur die Staatskasse verlor Millionen an Zolleinnahmen: „Es wurden kriminelle Parallelstrukturen geschaffen, die auch hinter den gezielt geschürten Unruhen in Nord-Mitrovica stehen.“

Die Heizung ist ausgefallen im klammen Büro von Fadil Muliqe im Provinzstädtchen Podujevo. Nein, zufrieden sei er über den Zustand des Landes ein Jahr nach der Unabhängigkeit keineswegs, schimpft der Chef des lokalen Veteranen-Verbands. Noch immer hemmten Korruption und ineffiziente Behörden die Entwicklung, seien die Arbeitslosigkeit hoch, die Löhne gering, klagt der hagere Kämpfer der einstigen Untergrundarmee UÇK.

„Geschichte hat sich gedreht“

Er sei jedoch von Natur aus Optimist: „Wir waren eine gefährdete Nation, mussten um unser Leben bangen. Doch die Geschichte hat sich gedreht, wir sind nicht mehr von Serbien abhängig.“ Nicht nur, weil sich die Regierung jetzt selbst für den Kurs des Landes verantworten müsse und sich nicht mehr hinter den internationalen Organisationen verstecken könne, sei die Lage „auf jeden Fall besser“, beteuert der Kriegsinvalide: „Auch wenn es nur langsam vorangeht und das Leben schwierig bleibt: Wir haben schon Schlimmeres erlebt.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.02.2009)

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