Kosovo: Traum und Wirklichkeit nach einem Jahr Unabhängigkeit

(c) Reuters (Hazir Reka)
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Am 17. Februar 2008 spaltete sich der Kosovo endgültig von Serbien ab. Die prekäre Wirtschaftslage wird durch die weltweite Krise noch verschärft.

Für die Kosovo-Albaner begann vor einem Jahr eine neue Zeitrechnung: Nach der Unterdrückung durch Serbiens nationalistisch-sozialistischen Autokraten Slobodan Milošević, die 1999 in der Vertreibung von 800.000 Menschen gipfelte, und neun scheinbar verlorenen Jahren als UN-Protektorat endlich die lang ersehnte Eigenstaatlichkeit!

Groß war der Jubel an jenem 17. Februar in Prishtina, noch größer waren die Hoffnungen darauf, dass sich bald vieles in Südosteuropas Armenhaus zum Besseren wenden würde. Doch nicht alle Wünsche gingen in Erfüllung. Speziell wirtschaftlich erweist sich der Weg als äußerst steinig, die weltweite Krise kommt zum ungünstigsten Zeitpunkt. Und Serbien, das die Abspaltung seiner ehemaligen Provinz nicht akzeptiert hat, leistet seinen Beitrag dazu, dass dieser Weg für Prishtina beschwerlich bleibt.

Auch wenn sich die Lebensumstände der Kosovaren im ersten Jahr der Eigenstaatlichkeit kaum verbesserten: Laut einer Umfrage des Gallup-Instituts bleiben sie das optimistischste Volk der Welt.

Diplomatie: Zögerliche Anerkennung

100 Länder würden rasch den Kosovo als Staat anerkennen, hat Premier Hashim Thaçi vor einem Jahr verkündet. Bisher sind es gerade einmal 54, die Hälfte davon im ersten Monat. Serbien versucht mit diplomatischen Mitteln, Staaten von einer Anerkennung abzuhalten. Die Mitgliedschaft Prishtinas in der UNO ist derzeit nicht möglich, da Moskau dies nicht zulassen würde. Ein Großteil der EU-Staaten hat den Kosovo anerkannt, fünf Länder scherten aber aus: Zypern, Griechenland, Spanien, Rumänien und die Slowakei.

„Die Anzahl der anerkennenden Staaten ist bescheiden“, meint sogar Albert Rohan, Ex-Kosovo-Vermittler, zur „Presse“: „Das ist auch ein Zeichen für den Einbruch der Stärke der USA.“ Dazu komme, dass nicht einmal die EU einig sei. Viele Staaten außerhalb Europas würden deshalb abwarten. Sie warten offenbar auch darauf, wie der Internationale Gerichtshof in Den Haag entscheidet, der von Serbien mit der Causa Kosovo befasst wurde. Bis das der Fall ist, können aber noch Jahre vergehen.

Internationale Präsenz: Kompetenz-Wirrwarr

1999 übernahm die UN-Verwaltung Unmik den Kosovo. Ihre Kompetenzen hätten laut Plan des UN-Vermittlers Martti Ahtisaari auf die Kosovo-Regierung, die EU-Polizei- und Rechtsstaatsmission Eulex und den Internationalen Repräsentanten übergehen sollen. Doch Belgrad und die 100.000 Serben im Kosovo lehnen Eulex kategorisch ab und wollen weiter nur Unmik akzeptieren. Die internationalen Organisationen handelten einen Kompromiss mit Belgrad aus, der die EU-Mission unter UN-Schirm stellt und die de facto herrschende Zweiteilung des Kosovo festigt. Das wiederum kommt für die K

osovo-Albaner nicht in Frage. Auch diese Blockade hemmt die Entwicklung des Kosovo.

Wirtschaft: Warten auf den Boom

Das erhoffte Wirtschaftswunder ist bisher ausgeblieben. Auch als Staat bleibt der Kosovo das schwächste Glied der Region. Das Wirtschaftswachstum für 2008 von gut fünf Prozent wird durch die miserable Ausgangslage relativiert, die Arbeitslosigkeit liegt jenseits der 40 Prozent. Die katastrophale Handelsbilanz hat sich im vergangenen Jahr trotz der um 18,7 Prozent gestiegenen Exporte verschlechtert, das Defizit beträgt schon 1,8 Mrd. Euro.

Nur dank importierter Energie sank die Zahl der Stromausfälle. Im ersten Jahr als Staat kaufte der Kosovo für 42 Mio. Euro Strom ein. Nicht nur wegen schlechter Infrastruktur und ausufernder Bürokratie blieb der Investorenandrang vorläufig aus. Auch die unübersichtliche Lage im Nordkosovo und Berichte über Mafia-Unwesen suggerieren nicht die Stabilität, die Investoren schätzen.

Die weltweite Krise dürfte den Kosovo auch bei Geldüberweisungen der Gastarbeiterdiaspora in Westeuropa zu spüren bekommen: Deren Zahlungen machten bisher rund 15 Prozent des Sozialprodukts aus.

Minderheiten: Serben machen nicht mit

Vor der Abspaltung von Serbien wurden die Politiker der Kosovo-Albaner nicht müde, ihren Staat in spe als „multiethnisch“ anzupreisen. Und die meisten Bestimmungen im Ahtisaari-Plan betreffen ja auch die Menschen- und Minderheitenrechte. Vieles davon wurde von Prishtina in Gesetze gegossen. Nur: Kosovos Serben machen nicht mit. So sind etwa in den neuen Sicherheitskräften Plätze für Serben reserviert. Die werden aber nicht besetzt, da die Kosovo-Serben auf Geheiß Belgrads alle Institutionen des neuen Staates boykottieren.

Ebenso wenig wie der multiethnische Staat heute Realität ist, traf ein Horrorszenario ein: das eines Massenexodus der Kosovo-Serben.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.02.2009)

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