Sean Haugh: Der Don Quijote von North Carolina

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Der Senatswahlkampf in North Carolina ist der teuerste aller Zeiten. Entscheiden aber wird ihn ein libertärer Pizzabote ohne Siegeschancen. Sean Haugh erklärt der "Presse", wieso er sich das antut.

Durham. Sean Haugh wird am 4. November nicht in den US-Senat gewählt werden, doch die gute Laune lässt er sich nicht nehmen. „Ich habe riesigen Spaß“, sagt der 53-jährige Kandidat der Libertären Partei in North Carolina im Gespräch mit der „Presse“. „Ich bin sehr zufrieden, wie die Menschen meine Botschaft aufnehmen, dass Amerika friedfertiger werden muss.“ Normalerweise wäre ein Kandidat, der fünf bis sieben Prozent der Wählerstimmen erwarten darf, angesichts des US-Mehrheitswahlrechts keine Erwähnung wert. Doch Haugh ist eine Ausnahme. Der Abstand zwischen der demokratischen Senatorin Kay Hagan und ihrem republikanischen Herausforderer Thom Tillis in diesem mit knapp 9,9 Millionen Einwohnern zehntgrößten US-Staat ist so knapp, dass jede Stimme für Haugh den Ausschlag geben könnte.

Das hat bundesweite Auswirkungen. Diese Wahl in North Carolina ist eine von gut einem halben Dutzend, die darüber entscheiden wird, ob die Republikaner nach acht Jahren wieder die Mehrheit im Senat in Washington erringen. Damit würden Barack Obamas ohnehin schon winzige Hoffnungen beerdigt, in den letzten beiden Jahren seiner Präsidentschaft noch das eine oder andere Gesetzesvorhaben durch den Kongress zu bringen.

Goldwater, Martin Luther King

Weil North Carolina diese Schlüsselrolle hat, schütten beide Parteien (sowie intransparente Wahlplattformen, die ihre Geldgeber geheim halten dürfen) Unsummen in ihre Kampagnen. Knapp 100 Millionen Dollar (79 Millionen Euro) werden es letztlich sein: So viel Geld wurde noch nie für einen Senatswahlkampf ausgegeben.

Haugh, der nach einem Studium an der Tufts University nahe Boston und Jahrzehnten als hauptamtlicher Funktionär der libertären Partei heute als Pizzabote arbeitet, findet diese finanzielle Hochrüstung „absurd“. „Die müssen sich fragen, wieso jemand Millionen für die Wahl eines Jobs ausgeben will, der nur mit 174.000 Dollar pro Jahr bezahlt wird.“ Sein eigenes Wahlkampfbudget beläuft sich derzeit auf rund 8000 Dollar. „Ich muss jede einzelne Spende über 1000 Dollar melden“, stöhnt Haugh. „Hast du schon eine bekommen?“, fragt ihn einer der acht Sympathisanten, die an diesem Abend zur Plauderstunde mit dem Kandidaten in die Bierbar „Satisfactions“ in der Universitätsstadt Durham gekommen sind. „Nein“, gesteht Haugh. „Weil eure Website auch so mies ist! Man kommt da zum Spenden kaum durch“, klagt Haughs Anhänger.

Sein Dogma ist schnell erklärt: Nein zum Krieg, Ja zum Nulldefizit, und was die Bürger privat tun, geht nur sie etwas an. „Für Europäer ist es schwer zu verstehen, wie man zugleich sozial tolerant und fiskalisch verantwortungsvoll sein kann“, sagt Haugh. Diese Weltsicht sei ihm in die Wiege gelegt worden: Der Großvater John Haugh war in Arizona ein Gefolgsmann des rechtsdemagogischen Senators Barry Goldwater, einem Wegbereiter der republikanischen Präsidenten Richard Nixon und Ronald Reagan. Haughs Vater hingegen schwärmte für den schwarzen Bürgerrechtler Martin Luther King jr. „Wenn man mit Goldwater und MLK aufwächst, ist man zum Libertarianismus prädestiniert“, sagt Haugh.

Die Kriege der USA in Afghanistan und im Irak geißelt er als teure und blutige Narreteien, vor einem militärischen Eingreifen Washingtons im Irak und Syrien graut ihm. Gab es auch gerechte Kriege? „Ja, den Zweiten Weltkrieg und den US-Bürgerkrieg. Man kann nichts gegen jemanden sagen, der die Sklaverei abschafft und Hitler besiegt.“

„Nur zu, füttert das Monster!“

Libertäre Kandidaten schaden gewöhnlicherweise den republikanischen Kandidaten, weil ihr Dogma der Fiskaldisziplin und unternehmerischen Freiheit bei vielen ihrer Wähler Anklang findet. Das dürfte auch in North Carolina so sein. Zuletzt allerdings hat eine mysteriöse, in Iowa ansässige Organisation namens „American Future Fund“ (Zweck, laut Homepage: „Um wirksam konservative und marktliberale Ideale zu kommunizieren“) mit skurrilen Werbespots („Weniger Krieg, mehr Gras“) versucht, junge gesellschaftsliberale Wähler, die für die Legalisierung von Cannabis sind, von der Demokratin Hagan weg zu Haugh zu locken. 225.000 Dollar hat diese Organisation, die früher die im Ölgeschäft zu Milliardären gewordenen Koch-Brüder finanziert haben, für diese Filme ausgegeben. Haugh hat kein Problem damit, ungefragt von dritter Seite beworben zu werden. „Das ist faszinierend. Es zeigt, wie verzweifelt beide Lager sind. Dank dieser Spots wählen mich jetzt Leute, die mich sonst nicht kennen würden. Also: Nur zu, füttert das Monster!“

Die Rolle als Zünglein an der Waage ist ihm aber nicht ganz recht: „Wenn die Leute sagen, dass ich Hagan oder Tillis um den Sieg bringen werde, muss ich antworten: Es ist nicht mein Fehler, dass beide Kandidaten so schwach sind. Tillis ist doch nur mehr darum überhaupt noch im Rennen, weil er gegen Hagan antritt.“

Das Bier ist getrunken, der Kandidat erschöpft. Am 5. November, dem Tag nach der Wahl, würde Haugh sich „am liebsten auf meinen neuen Job als US-Senator vorbereiten. Ich werde allerdings andernfalls mit genauso großer Freude weiterhin Pizzas ausliefern.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.10.2014)

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