Terror light: Al-Qaida verliert Einfluss

Osama bin Laden
Osama bin Laden(c) REUTERS (HO)
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Statt operativ tätig zu sein, konzentriert sich Bin Ladens Netzwerk auf Ausbildung und Ideologie. Immer mehr Gruppen nehmen den Namen al-Qaida an. Traditionelle Einheiten sind geschwächt.

WASHINGTON/Wien.Der gefährlichste Terrorist der Welt war verärgert. „Edler Bruder Ezzat“, schrieb Ayman al-Zawahiri, „warum hast du ein neues Faxgerät um 470 Dollar gekauft? Was ist mit den zwei alten? Erkläre bitte die Handyrechnung in Höhe von 756 Dollar. Und warum wird neue Hardware für den Computer gekauft? Bin ich deswegen gefragt worden?“

Auch als gefürchteter Stellvertreter von Osama bin Laden ist man nicht vor Bürokratie gefeit. Und irgendjemand muss schließlich auch in einer Terrororganisation die Kontrolle über die Finanzen haben. Die E-Mails und Briefe, die der US-Geheimdienst CIA auf einem in Afghanistan sichergestellten Laptop gefunden hat, geben tiefe Einblicke in bin Ladens Organisation. Und es sind alles andere als gefährliche: Es geht um Einkäufe, um Reisespesen, Einladungen und bürokratischen Zwist. Neue Pläne für Anschläge fand die CIA nicht.

Acht Jahre nach ihrem größten Coup ist die Terrorgruppe al-Qaida von ihrer einstigen Schlagkraft weit entfernt. Am 11. September 2001 veränderte sie die Welt für immer, als 19 Mitglieder mit entführten Flugzeugen in das World Trade Center in New York und das Pentagon in Washington flogen.

Heute sieht der US-Geheimdienstdirektor Dennis Blair in der Wirtschaftskrise eine größere Gefahr als in al-Qaida. Die Krise könnte vor allem in Ländern der früheren Sowjetunion, in Afrika und Lateinamerika zu politischer Destabilisierung führen. Al-Qaida dagegen sei „weniger effektiv als früher“, sagte Blair dem Senat. Diese Ansicht teilt der Terrorismusexperte Rohan Gunaratna in seinem „Global Threat Assessment 2009“: Al-Qaida sei mittlerweile „keine operative Organisation“ mehr, sondern habe sich zu einer „Trainingseinheit und einer ideologischen Bewegung“ gewandelt.Der Leiter des „International Center for Political Violence and Terrorism Research“ in Singapur glaubt, dass sich diese Richtungsverschiebung im heurigen Jahr weiter verstärkt. Angeführt von al-Zawahiri würde die Gruppe vermehrt versuchen, weltweit Moslems zu radikalisieren. Dazu nütze man immer stärker das Internet und Videobotschaften.

Dass der Name dennoch mit aktuellen Attacken in Verbindung gebracht wird, hat mit der Organisationsstruktur zu tun. Al-Qaida agiert wie eine globale Fast-Food-Kette, die ihren Namen an Franchising-Partner vergibt. „Lokale Einheiten, die den Namen al-Qaida übernehmen, werden 2009 zu einem Trend“, glaubt Gunaratna. Bin Laden profitiert, weil seine Organisation allgegenwärtig erscheint. Die Gruppen wiederum können unter einem Namen agieren, der zum Synonym für Terror geworden ist.

“Bedrohung“ durch Obama

Wie geschwächt die traditionelle al-Qaida wegen des beständigen Antiterrorkampfs ist, zeigen jüngste Beispiele aus Saudiarabien. Weil das Land auf Druck der Amerikaner strenger gegen die Organisation vorgeht, sind viele Mitglieder in den für sie weitaus freundlicheren Jemen geflohen. Dermaßen viele waren es, dass al-Qaida im Jemen offiziell ihre Verschmelzung mit al-Qaida in Saudiarabien bekannt gab. Man nennt sich jetzt „al-Qaida in the Arabian Peninsula“.

Die größte Bedrohung für die Terrororganisation scheint aber nicht militärischer Natur zu sein, sondern trägt vielmehr menschliche Züge: Auch in der arabischen Welt liebt man den neuen US-Präsidenten Barack Obama. „Er ist populär, er spricht die Menschen an und gibt ihnen das Gefühl, ihre Aversionen gegen die USA zu verstehen“, erklärt der ehemalige CIA-Agent John Kiriakou. Das könnte vielen Moslems die Hoffnungslosigkeit und die Aversion gegen den Westen nehmen, wegen derer sie bisher bereit waren, sich in die Luft sprengen.

CHRONOLOGIE.

Mit einem Anschlag auf das World Trade Center 1993 trat al Qaida erstmals in Erscheinung. 1998 folgten Angriffe auf US-Botschaften in Kenia und Tansania, 2000 ein Anschlag auf die USS-Cole. „Höhepunkt“ war der 11. 9. 2001 mit 3000 Toten.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.02.2009)

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