Russland: Mit nackter Gewalt gegen die Krise

(c) Reuters (Robert Mdzinarishvili)
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Moskaus Rezept gegen mögliche Herausforderungen der inneren Sicherheit: Ein massiver Ausbau des Polizei-Apparates. Private Sicherheitsdienste dienen als Reserve.

Alexej Kudrin hat derzeit wohl den schwierigsten Job in Russland. Bis 8. März soll der Finanzminister das Budget für 2009 fertig haben, wobei er angesichts der niedrigen Ölpreise mit über 40 Prozent weniger Steuereinnahmen rechnen muss. „Nicht viele Länder sehen sich mit derart drastischen Haushaltsrevisionen konfrontiert“, stöhnt Kudrin.

Bei Budgetproblemen dieses Ausmaßes wird normalerweise von allen Ressorts erwartet, dass sie den Rotstift ansetzen. Die Ausnahme in Russland bilden offensichtlich die Sicherheitsressorts, Den Streitkräften hat Präsident Dmitrij Medwedjew bereits versprochen, dass etwaige Budgetkürzungen aufgrund der Krise „nicht auf Kosten der Kampfkraft der Armee“ erfolgen würden.

Auch das Innenministerium muss keine schmerzhaften Einschnitte befürchten. Schon Ende Dezember wurde die geplante Reduzierung der Bereitschaftstruppen des Ministeriums auf 140.000 Mann gestoppt; sie behalten ihre jetzige Stärke von 170.000 Mann bei. Am 12. Jänner wurde eine kräftige Gehaltserhöhung für Angehörige der Polizei angekündigt.

Griff auf private Sicherheitsleute

In einem im Dezember von der Duma angenommenen Gesetz, das die Tätigkeit privater Sicherheitsleute und Detektive regelt, wird die Kontrolle des Innenministeriums über private Sicherheitsfirmen ausgeweitet. Im Notfall sollen die 762.000 Mitarbeiter dieser Privatfirmen als Reserve für Einsätze zur Aufrechterhaltung der inneren Sicherheit zur Verfügung stehen.

Vergangene Woche hat Präsident Medwedjew die Bildung einer föderalen Reserve aus Vertretern der Sicherheitsdienste sowie der Armee angeordnet, berichtete das Wirtschaftsblatt „RBC Daily“. Die Gesamtstärke der diversen Sicherheitsapparate, die sich um die innere Sicherheit kümmern, erreicht laut dem Moskauer Blatt 2,5 Millionen Mann: „Das übersteigt sogar die Personalstärke der Streitkräfte.“ „RBC Daily“ weiß auch zu berichten, dass ein westsibirisches Unternehmen den Auftrag bekommen habe, gepanzerte Wasserwerfer in großer Zahl zu produzieren. Experten weisen angesichts dieser Entwicklungen im russischen Sicherheitsapparat auf eine unübersehbare Militarisierung des ganzen Landes hin. „RBC Daily“ zitierte den Duma-Abgeordneten Gennadij Gudkow, Oberst der Reserve des Inlandsgeheimdienstes FSB: „Teile unserer Beamtenschaft sind der Illusion verfallen, dass sie sich nur mit nackter Gewalt vor der Krise schützen können. Aber das ist eine Utopie“.

Die Krise stellt auf verschiedenen Ebenen eine Herausforderung für Russlands innere Sicherheit dar:

Soziale Proteste: Steigende Arbeitslosigkeit, Gehaltskürzungen oder ausbleibende Lohnzahlungen erhöhen die Unzufriedenheit in der Bevölkerung und ihre Bereitschaft zur Rebellion.

Steigende Kriminalität: Die Kriminalitätskurven zeigen steil nach oben. Raubüberfälle wie am Wochenende auf einen Geldtransport im Gebiet Tula (Beute: 43 Millionen Rubel) nehmen ebenso zu wie Ladendiebstähle (drei Mal so viel wie vor der Krise). Präsident Medwedjew befürchtet, dass vor allem die Entlassung von Gastarbeitern nicht nur die Schwarzarbeit ausufern lässt, sondern zu einer „Verschlechterung der Kriminalitätslage insgesamt führt“.

Zentrifugale Tendenzen: Die Krise verstärkt insbesondere an den Rändern des Riesenlandes die Absetzungstendenzen vom Zentrum. Als gefährdet gelten vor allem die unruhigen Nordkaukasus-Republiken. Sie hat Moskau zuletzt durch riesige Budgetzuschüsse bei der Stange halten können. Je schwächer die Gelder aus Moskau fließen, desto mehr könnten Radikalisierung und Gewalt zunehmen.

AUF EINEN BLICK

Russlands Sicherheitsapparat wird trotz Krise ausgebaut:

Die Bereitschaftstruppen des Innenministeriums werden nicht, wie geplant, reduziert.

Private Sicherheitsfirmen müssen dem Innenministerium ihre Mitarbeiter als Reserve bereitstellen.

Mehr Gehalt für Polizisten und neue gepanzerte Wasserwerfer.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.02.2009)

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