Somalia führt die Scharia ein

Verschleierte Frau
Verschleierte Frau(c) AP (SAYYID AZIM)
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Somalia wird aller Voraussicht nach zum Gottesstaat. Der neue Präsident Sheik Ahmed gibt radikalen Kräften nach. Religiöse Zugeständnisse sollen helfen, die brüchige Waffenruhe abzusichern.

MOGADISCHU (ag.).Somalia wird aller Voraussicht nach zum Gottesstaat. Nur einen Monat nach seiner Wahl hat der neue Präsident Sheik Sharif Sheik Ahmed die Wiedereinführung des islamischen Rechts angekündigt. Er werde auf Grundlage der Scharia regieren, sagte er am Wochenende. Mit diesem radikalen Schritt will Sheik Ahmed offenbar wieder für Ruhe im Krisenstaat am Horn von Afrika sorgen. Die Scharia gilt als Zugeständnis an die oppositionellen islamischen Fundamentalisten.

Das somalische Übergangsparlament, das derzeit im Nachbarstaat Dschibuti seinen Sitz hat, muss der Entscheidung zur Einführung des islamischen Rechts allerdings noch zustimmen. Der Beschluss ist noch nicht sicher, da es unter den Abgeordneten nur wenig Sympathie für das islamische Recht gibt. Das Parlament mussten sich aus der somalischen Stadt Baidoa, dem bisherigen Sitz zurückziehen, nachdem die radikalislamische Al-Shabab-Miliz die Stadt erobert und dort bereits die Scharia durchgesetzt hatte.

Präsident Sheik Ahmed gilt als gemäßigter Islamist. Seit seiner Wahl Ende Jänner drohen ihm islamische Kräfte mit Absetzung und Putsch. Die Shabab-Milizen und andere islamistische Aufständische hatten angedroht, bis zum Abzug sämtlicher ausländischer Truppen aus Somalia und der Wiedereinführung der Scharia ihren Kampf fortzusetzen. Nun kündigte Sheik Ahmed an, dass ein Waffenstillstand zwischen Regierung und Opposition die Kämpfe beenden werde.

Bürgerkrieg seit 1991

In Somalia herrschen seit dem Sturz von Machthaber Siad Barre 1991 Bürgerkrieg und Anarchie. Nach Friedensgesprächen in Nairobi wurde 2004 schließlich eine von der UNO anerkannte Übergangsregierung eingesetzt. 2007 begann ein Aufstand von Islamisten, die erneut große Teile Somalias unter ihre Kontrolle brachten. Die Übergangsregierung wurde von Soldaten aus Äthiopien unterstützt, konnte gegen die Milizen aber nur wenig ausrichten.

Nach den Wahlen eskalierte die Lage erneut. Erst vergangene Woche war es in der Hauptstadt Mogadischu zu schweren Kämpfen mit Dutzende Toten gekommen.

Zuletzt haben die Ältesten aus dem führenden Clan in Mogadischu und religiöse Führer versucht, einen Waffenstillstand zu vermitteln. Sie haben Präsident Sheik Ahmed die Scharia als Zugeständnis abgerungen. „Die Vermittler haben mich gedrängt, die Scharia einzuführen, und ich habe zugestimmt“, so der Präsident. Dort, wo im Land bereits das islamische Recht gilt, wurden in den letzten Jahren zahlreiche Menschen hingerichtet, Kinos und Videoläden geschlossen, Live-Musik verboten und Frauen, welche die strengen Bekleidungsvorschriften nicht einhielten, verfolgt. Aus Somalia gibt es zudem Berichte, dass schwangere Frauen allein deshalb öffentlich bestraft wurden, weil keine Klarheit über den Vater ihrer Kinder herrschte.

Anarchie & Piraterie

Da ein anders Recht als die Scharia von großen Teilen der somalischen Bevölkerung nicht anerkannt wird, breitete sich im Land Anarchie aus, die auch zu den zahlreichen Piratenüberfällen vor der Küste des Landes beigetragen haben dürfte.

Das islamische Recht ist derzeit nicht bloß in Somalia im Vormarsch. Zur Zeit wird die Scharia in Nigeria, auf den Malediven, im Iran, in Saudiarabien, Bangladesch, Mauretanien, Afghanistan, im Sudan, in Gambia, Senegal, Katar, Kuwait, Bahrain, der indonesischen autonomen Provinz Aceh, Jemen und in Teilgebieten Pakistans angewandt.

LEXIKON

Die Scharia hat für radikale Moslems einen universellen Geltungsanspruch. In vielen islamischen Ländern ist sie deshalb auch Grundlage der staatlichen Gesetzgebung. Die „unfehlbare“ Pflichtenlehre umfasst das gesamte religiöse, politische, soziale, häusliche und individuelle Leben. Sie ist für radikale Moslems der einzig gültige Wegweiser zu Gott.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.03.2009)

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