IS-Video: Eine Frau gegen eine Glock-Pistole

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Ein Film belegt das grausame Vorgehen der Extremisten gegen yezidische Frauen und Mädchen, die durch gezielte Ausrottungspolitik zur bloßen Ware degradiert werden.

Sie kichern und lachen wie ausgelassene Kinder vor Weihnachten. Aber es sind keine Kinder, die in einem Haus in der irakischen Stadt Mosul ungeduldig und euphorisch auf ihre „Bescherung“ warten. Die Männer tragen Bärte – es sind die Kämpfer der Terrormiliz des Islamischen Staats (IS). Die „Geschenke“, auf die diese Extremisten so ungeduldig warten, sind Menschen: Es sind yezidische Frauen und Mädchen, die die IS-Milizionäre bei ihren blutigen Feldzügen im Norden des Iraks gekidnappt haben.

„Heute ist Sklavenmarkt“, freut sich einer der Männer und zitiert einen Koranvers. „Mit Gottes Hilfe bekommen alle ihren Anteil.“ Damit könne jeder machen, was er wolle, wird betont. „Verkaufen oder verschenken, das bleibt jedem selbst überlassen.“ „Wo ist nur meine Yezidin?“, ruft ein anderer dazwischen. Und alle lachen.

Versteigerung wie auf dem Kamelmarkt

Das Video, das im Internet veröffentlicht wurde, ist insgesamt nur zwei Minuten und 27 Sekunden lang. Soldaten der kurdischen Peschmerga-Truppen im Irak sollen es nach eigenen Angaben auf dem Handy eines getöteten IS-Kämpfers gefunden haben. Es ist zwar nur ein kurzer Ausschnitt, aber das Bildmaterial über die IS-Männer macht sprachlos: Mit ihren Massenexekutionen von vielen Hunderten Menschen haben die Islamisten bereits eine selten zuvor gesehene Blutspur hinterlassen. Doch dieser Handyfilm dokumentiert, wie sehr die Grausamkeit in jedem einzelnen Mitglied der Terrormiliz zum alltäglichen Lebensstil geworden ist.

Die yezidischen Frauen werden von den Islamisten-Kämpfern zur bloßen Ware degradiert: Die Extremisten tauschen sie für eine Pistole der Marke Glock oder für ein paar Hundert Dollar aus. Der Preis richtet sich „nach dem Aussehen“, danach, ob sie „blaue oder grüne Augen“ haben. Ist das Opfer nur 15 Jahre alt, dann müsste man „ihre Zähne prüfen“ – um festzustellen, ob sie ihr Geld wert ist. „Denn was will ich von einem Mädchen, das keine Zähne hat?“, sagt einer der Männer auf dem Video.
Auf den grausamen Videoaufnahmen geht es zu wie auf einem Pferde- oder Kamelmarkt. Aber für die yezidischen Frauen ist nicht nur harte Sklavenarbeit vorgesehen. Sexuelle Konnotationen sind im Video unüberhörbar: „Ich schwöre, ich suche eine Frau“, ruft einer der Männer grinsend. „Weißt du auch, wie man sie handhabt?“, fragt ein anderer, als ginge es um eine Maschine.

Yezidische Frauen, die aus der Gefangenschaft der Islamisten flüchten konnten, berichteten fast ausnahmslos von sexuellem Missbrauch. Eine von ihnen wurde, eigenen Angaben zufolge, innerhalb weniger Stunden 30-mal vergewaltigt. Im vergangenen Monat veröffentlichte die internationale Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) einen Bericht, der auf Interviews mit Dutzenden von Frauen der religiösen Minderheit beruhte, die in die Fänge der IS geraten waren. Sie wurden von den Kämpfern für deren persönlichen Gebrauch ersteigert. Einige der Mädchen waren nicht älter als zwölf Jahre.

Gezielte Ausrottungspolitik

Die Versklavung der Frauen ist Bestandteil der Ausrottungspolitik, die die Islamisten des IS gegenüber der religiösen Minderheit der Yeziden betreiben. Für die Extremisten sind Juden und Christen zwar auch Ungläubige, aber immerhin Anhänger von Buchreligionen, deren Glaube auf Schriften beruht, die auch der Islam anerkennt. Die Yeziden dagegen gelten als Gottlose, als Heiden, sogar als Teufelsanbeter. Sollten sie nicht zum richtigen Glauben, dem Islam, konvertieren, müssen sie getötet werden, lautet das Credo der IS.

Mit der Versklavung der Frauen will man die Fortpflanzungslinie der Yeziden, die nur unter ihresgleichen heiraten, unterbrechen. Laut Angaben der Vereinten Nationen mussten insgesamt mindestens bisher 500.000 Yeziden vor den islamistischen Extremisten aus ihrer Heimtatregion in Sindschar fliehen. Bei den Feldzügen im Irak soll die Jihadistenmiliz über 2500 yezidische Frauen entführt haben.

Auf einen Blick

Etwa 800.000 Angehörige der religiösen Minderheit der Yeziden leben im Irak. Traditionell liegen ihre Siedlungsräume zwischen dem Landeszentrum und der Autonomen Region Kurdistan im Norden. Mehr als die Hälfte von ihnen befindet sich jedoch auf der Flucht vor der Terrormiliz Islamischer Staat (IS).Für die Extremisten sind sie Gottlose, deren Glauben nicht auf einer Schrift beruht. Der IS betreibt eine gezielte Ausrottungspolitik gegen die Minderheit: Mit der Versklavung und den Massenvergewaltigungen von Frauen und Kindern will man die Fortpflanzungslinie der Yeziden, die nur unter ihresgleichen heiraten, unterbrechen. Der IS soll bisher 2500 Yezidinnen entführt haben.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.11.2014)

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