"Drachenbrut": Liedermacher Biermann attackiert Linke

GERMANY ANNIVERSARY OF PEACEFUL REVOLUTION
GERMANY ANNIVERSARY OF PEACEFUL REVOLUTIONAPA/EPA/WOLFGANG KUMM
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Eigentlich hätte der 1976 aus der DDR ausgebürgerte Liedermacher Wolf Biermann im Deutschen Bundestag nur singen sollen. Doch er hatte auch etwas zu sagen - und das war nicht gerade schmeichelhaft.

Eine Minute und 40 Sekunden lang blieb Wolf Biermann stumm. Der Liedermacher schlug die Gitarrensaiten, legte die Stirn in Falten und betrachtete die Abgeordneten. Nach dieser Ouvertüre legte der 77-Jährige am Freitag im Deutschen Bundestag los und griff die Abgeordneten der Linkspartei frontal als "Drachenbrut" an: Sie seien nicht links, nicht rechts sondern einfach nur reaktionär. Es war der Auftakt zu einer ungewöhnlichen Feierstunde zum Fall der Mauer vor 25 Jahren. Die Linke sei "der elende Rest dessen, was zum Glück überwunden ist", sagte Biermann, der eigentlich nur als Sänger in der Sitzung auftreten sollte. Mit Verweis auf seine Selbstbezeichnung als "Drachentöter" sagte der Liedermacher weiter, er könne nicht "die Reste der Drachenbrut" niederschlagen, "die sind geschlagen".

"Werde mir Reden nicht abgewöhnen"

Linken-Fraktionsvize Dietmar Bartsch rief Biermann zu: "Wer mit einem Finger auf andere zeigt, sollte daran denken, dass vier Finger auf ihn zeigen". Eine andere Abgeordnete rief: "Wir sind gewählt!" Doch davon ließ sich Biermann ebenso wenig stoppen wie von Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU). Dessen Mahnung "heute sind Sie zum Singen eingeladen" entgegnete Biermann unter Applaus: "Ja, aber natürlich habe ich mir in der DDR das Reden nicht abgewöhnt, und das werde ich hier schon gar nicht tun."

Im Anschluss an den Schlagabtausch trug der Liedermacher sein Lied "Ermutigung" vor, das vor allem unter Oppositionellen in der damaligen DDR beliebt war. Biermann war 1976 wegen systemkritischer Gedichte und Lieder aus der DDR ausgebürgert worden. Aus seinen jetzigen politischen Präferenzen macht Biermann übrigens kein Geheimnis. Erst im Vorjahr hat er im Interview mit der "Presse" verraten, dass er Angela Merkel gewählt hat. Und auch seine Beweggründe legte er offen: "Ich bin ein Linker! Die einzige Sozialdemokratin in Deutschland ist Angela Merkel. Die Sozialdemokraten in Deutschland sind keine Sozialdemokraten."

Linken-Fraktionschef Gregor Gysi ging in seiner anschließenden Rede nicht auf die Kritik Biermanns ein. Stattdessen würdigte er "die historische Leistung aller in der DDR", dass die Umwälzungen gewaltlos blieben. Zugleich kritisierte er, dass nach der Wiedervereinigung DDR-Errungenschaften wie das Kita-Netz abgeschafft worden seien.

Tränen und persönliche Reden

In teils sehr persönlichen Reden, die oft mit stehendem Beifall bedacht wurden, erinnerten die Redner aller Fraktionen an die Zeiten von Mauer und Mauerfall. Der Ost-Beauftragten der Regierung, Iris Gleicke (SPD), versagte zeitweise die Stimme, als sie an "die Tränen in den Augen und an diese unbändige Freude und Erleichterung" vor 25 Jahren erinnerte.
Am Abend des 9. November 1989 war die Öffnung der Grenzen der DDR bekannt gegeben worden.

Unionsfraktionsvize Arnold Vaatz (CDU), der wegen Verweigerung des Reservewehrdiensts sechs Monate lang in der DDR inhaftiert war, schilderte seine Eindrücke aus dem Gefängnis. Und Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt berichtete von den "zittrigen Händen" eines Jugendlichen in einem DDR-Knast, der ihr bei einem Besuch damals gesagt habe: "Ich habe doch nichts gemacht, nur einen Witz über die Mauer."

>>> Mehr: 25 Jahre Mauerfall

(APA/AFP/Red.)

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