Assad: Der Diktator, der kaltblütig auf Zeit spielt

SYRIA NEW GOVERNMENT
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Syriens Machthaber Bashar al-Assad verfolgt im Bürgerkrieg zielstrebig seine Linie. Will er sich wieder als Partner des Westens inszenieren?

Bashar al-Assad? „Ein nebulöses, in Blut getränktes Wesen, das über Leichen geht“, sagt Elias Khoury, einer der führenden arabischen Autoren und Intellektuellen, über den syrischen Präsidenten. Er sei ein Herrscher mit despotischen Fantasien, der unglaublich brutal gegen das eigene Volk vorgehe. Khoury fasst das Bild eines Tyrannen in Worte, das sich im Laufe des mittlerweile über drei Jahre andauernden Bürgerkriegs im Bewusstsein der Weltöffentlichkeit festgesetzt hat.

Tatsächlich wüten die syrische Armee und die vielen unterschiedlichen Geheim- und Sicherheitsdienste in seinem Namen wie im Blutrausch: diverse Massaker an Zivilisten, Folter und Exekution tausender Oppositioneller sowie die systematische Bombardierung von Wohngebieten in Aleppo und vielen anderen Städten in Syrien. Der neueste Vorwurf: ein Luftangriff auf das Flüchtlingscamp Abedin im Nordwesten Syriens mit mindestens zehn Toten, den US-Außenamtssprecherin Jen Psaki „nichts weniger als barbarisch“ nennt. „Möge Gott Assad auf alle Ewigkeit verdammen“, rufen jene Syrer mit zum Himmel erhobenen Händen, deren Angehörige in den Trümmern bombardierter Wohnhäuser starben.

Die Gebete wurden nicht erhört. Assad ließ sich im Juni erneut im Amt bestätigen mit beeindruckenden 88,7 Prozent der Stimmen in einer Wahlfarce, die große Teile der Bevölkerung ausschloss. Es gibt keinerlei Anzeichen dafür, dass es mit dem 49-Jährigen, der seinen Vater Hafis al-Assad nach dessen Tod im Jahr 2000 als Staatsoberhaupt beerbte, in naher Zukunft zu Ende geht. Er will den „Sieg“, wie er in seinem letzten öffentlich Statement im Juni unbeirrt versicherte. Assad ist bereit, bis zum bitteren Ende auszuhalten.

Wie konnte aus dem gelernten Augenarzt, der einst der Hoffnungsträger Syriens war, ein gnadenloser Diktator werden? Bei seinem Machtantritt vor 14 Jahren hatte Assad Reformen durchgesetzt, die unter der knallharten Regentschaft seines Vaters undenkbar gewesen wären. Der Sohn ließ als Präsident politische Häftlinge frei, förderte private Diskussionszirkel, in denen die Bevölkerung über Politik und neue Ideen sprechen sollte. Private Banken wurden erstmals erlaubt und das Internet, wenn auch limitiert und kontrolliert, eingeführt. Man ließ sogar ein Satiremagazin erscheinen. Und al-Assad? Er spielte das Märchen vom „volkstümlichen König“. Leger in Jeans fuhr er mit seinem privaten Audi A6 durch die Stadt, aß Sandwiches in Straßenrestaurants. Bei den anderen Gästen soll er sich liebevoll erkundigt haben, ob es ihnen denn auch schmecke.

Die Liberalität hatte bald ein Ende. Im Jänner 2001 forderten Intellektuelle und Aktivisten die Aufhebung des Ausnahmezustands, die Freilassung aller politischer Häftlinge sowie freie Wahlen in einem demokratischen Mehrparteiensystem. Das aber ging dem Regime dann doch zu weit. Es schlug sofort zu. Unterzeichner der „Erklärung der Tausend“ wurden verhaftet, die Diskussionsgruppen wieder verboten und das Satiremagazin eingestellt.

Damals mag Assad die Verfolgung kritischer Geister wenig gefallen haben. In Großbritannien hatte er während seines Zusatzstudiums der Augenmedizin den liberalen europäischen Lebensstil schätzen gelernt. Zu Hause wollte er das versteinerte System aus Korruption und Machtwillkür verändern. Aber selbst als Präsident waren ihm die Hände gebunden. Sein Vater Hafis hatte in den drei Jahrzehnten seiner Herrschaft einen stalinistischen Staat geschaffen. Militär, Geheimdienst und diverse andere Sicherheitsagenturen waren die unumstößlichen Eckpfeiler. Ohne Rücksicht auf dieses Triumvirat konnte der neue, junge Präsident nicht regieren.

Plötzlich in die Politik. Assad blieb keine Wahl. Zumal er von Staatsgeschäften keine Ahnung hatte. Er war mit Leib und Seele Augenarzt gewesen, ohne das geringste Interesse für Politik. Seinen Vater hatte er nur ein einziges Mal im Büro des Präsidentenpalastes besucht. Über Tagespolitik wurde nie gesprochen. Das änderte sich schlagartig, als sein Bruder Bassem 1994 bei einem Autounfall tödlich verunglückte. Ihn, den älteren Bruder, hatte Vater Hafis zum Nachfolger bestimmt. Bashar musste sein Studium in London abbrechen und wurde in die Armee eingezogen. Die nächsten sechs Jahre versuchte ihm sein Vater die Kunst der hohen syrischen Politik beizubringen, die der Sohn immer so gehasst hatte. Assad heiratete 2000 seine attraktive Frau Asma Akhras, einst Liebling der Boulevardblätter, die zu ihrem Mann steht. Gerüchte, dass sie das Land verlassen habe, dementierte sie umgehend: „Ich war gestern hier, bin heute da und werde es auch morgen sein.“

Auf den Titel der „First Lady“ musste die damals 25-Jährige aber verzichten. Den beanspruchte nach wie vor Anisa al-Assad, die Witwe von Hafis al-Assad. Sie lebte die ersten Jahre der Präsidentenschaft ihres Sohnes mit ihm und der Schwiegertochter unter einem Dach. Anisa gehörte in Syrien zu den wenigen Persönlichkeiten, die die Fäden zogen. Sie wurde zur Beraterin von Bashar, aber auch ihres anderen Sprösslings, Maher, der für seine Aggressivität bekannt ist. Er führt die Republikanische Garde sowie die Elitetruppe der vierten Division an, die für ihr unerbittliches Vorgehen gegen die Opposition berüchtigt ist.

Der Assad-Clan entscheidet. Die heute 80-jährige Anisa stammt aus der Business-Familie Mahklouf. Durch ihre Heirat mit Hafis al-Assad wurde die Familie zu einem der wichtigsten Financiers des syrischen Regimes. Über die Jahre entstanden so wirtschaftliche und politische Rückkoppelungen, die bis heute Bestand haben. Der Assad-Clan entscheidet alles: wer Karriere macht, an wen Wirtschaftsverträge vergeben werden – und bestimmt die Besetzung von den wichtigen Positionen im Sicherheitsapparat. Es sind diese Familienstrukturen, denen es al-Assad verdankt, dass er heute noch fest im Sattel sitzt.

In der Krise rückt die Familie zusammen. Gerade, wenn man weiß, der Sturz des Regimes wird ihnen allen Kopf und Kragen kosten. Einen schweren Schlag erhielt Assads Herrschaftszirkel, als am 18. Juli eine Bombe im Hauptquartier der Nationalen Sicherheit explodierte. Unter den Toten war Geheimdienstchef Assef Shawkat und Oberst Makhlouf. Maher, der Bruder des Präsidenten, soll ein Bein verloren haben. Aufgrund des immer größer werdenden Sicherheitsrisikos für die Führungsriege in Damaskus verließ die Mutter Assads Syrien in Richtung Vereinigte Arabische Emirate. Durch das Attentat verlor der Präsident nicht nur wichtige Stützen seines Regimes, sondern auch seine engste Beraterin.

Aber al-Assad fiel in kein Loch. Seine Verbündeten nahmen in Syrien das Heft in die Hand. Der Präsident und seine Militärs hatten letztlich nichts mehr zu sagen. Die komplette Kriegsführung, von der Strategie bis zur Ausführung, leitete der Iran. Er restrukturierte die syrische Armee. An der Front bestimmten iranische Offiziere. Auf dem Schlachtfeld führten die libanesische Hisbollah-Miliz und die schiitischen Brigaden aus dem Irak an. Der Nachschub an Waffen und Munition kommt aus Russland, das auch auf der diplomatischen Bühne eine schützende Hand über das syrische Regime und seinen Präsidenten hält. Fast scheint es, als wäre al-Assad zur willfährigen Marionette degradiert worden. Als würden der Iran, Russland und der Irak ohne Rücksicht Syrien als Spielwiese zur Austragung ihrer Konflikte mit den USA missbrauchen. Es würde zum Bild passen, das man sich in Europa lange vom syrischen Präsidenten gemacht hatte. Er war als „formbar und eher naiv“ bezeichnet worden.

Al-Assad sei daran gewöhnt, unterschätzt zu werden, sagte Aiman Abdelnur, ein ehemaliger Berater. Vor Verhandlungen habe der Präsident seinem Team immer wieder eingebläut: „Seid nett zu ihnen, benutzt nur freundliche Worte. Dann werden sie nur Gutes über uns sagen und von den Konzessionen, die sie uns geben, können sie nicht mehr zurück.“ Al-Assad dagegen habe seine Versprechungen nie eingehalten. Er habe immer Ausreden gefunden. Als man ihn daran erinnert habe, er wollte doch Jihadisten vor der Einreise in den Irak abhalten, habe er nur lapidar entgegnet, die Grenze sei zu lang, um sie vollständig zu kontrollieren. „Er ist wesentlich klüger, als alle westlichen Politiker“, beteuerte Abdelnur anerkennend, obwohl der Ex-Berater in Ungnade fiel und im Exil lebt. Er berichtete weiter, wie sehr al-Assad den Konflikt mit dem Westen als Spiel betrachtet.

„Wenn ich mit Arabern verhandle, ist das ein gegenseitiges Belügen“, soll al-Assad gesagt haben. „Aber wenn ich mit diesen Ausländern zusammensitze und mich dann im Fernsehen sehe, kommt es mir vor wie Tom und Jerry.“

Partner für den Westen. Al-Assad hat seine Karten clever gespielt. Von einem naiven Charakter keine Spur. Kaltblütig, grausam und gerissen hat er seine Linie verfolgt. Von seiner Perspektive aus hat er das mit großem Erfolg getan. Militärisch sind seine Truppen auf dem Vormarsch gegen die Aufständischen. Und da ist ja auch noch die Terrormiliz des Islamischen Staats (IS), die die gesamte Region bedroht. Die Militärintervention der von den USA angeführten internationalen Koalition konnte die Extremisten bisher nicht stoppen.

In westlichen diplomatischen Kreisen wird al-Assad hinter vorgehaltener Hand bereits als zukünftiger Partner im Kampf gegen Terrorismus gehandelt. „Die Fundamentalisten von IS sind eine Sache“, sagte ein EU-Diplomat, der ungenannt bleiben will. „Aber in Syrien gibt es noch Dutzende anderer Gruppen, die zu al-Qaida gehören. Wer soll mit ihnen fertig werden? Die USA und Europa können das nicht allein.“

Das „blutgetränkte Wesen“ al-Assad wird am Ende doch wieder hoffähig? Ein Wunder wäre es nicht. Denn die Pragmatik der Politik hat oft genug schon Kapriolen geschlagen, die niemand für möglich gehalten hätte.

In Zahlen

200-tausend Todesopfer hat der Bürgerkrieg in Syrien bisher gefordert.

7 Mio.Menschen sind aufgrund des Krieges in Syrien laut dem Hilfswerk der Vereinten Nationen (UNHCR) zu Flüchtlingen geworden – ein Drittel der Gesamtbevölkerung.

3 Mio.Syrer sind in die Nachbarländer (v. a. Libanon, Jordanien und Türkei) geflohen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.11.2014)

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