Abdullah-Zentrum: „Ja, es gibt ein Problem im Islam“

(c) Die Presse (Clemens Fabry)
  • Drucken

Der orthodoxe Metropolit Emmanuel, der sunnitische Gelehrte Mohammed Sammak und Irans Ex-Kulturminister Mohajerani, über „gottlosen“ IS-Terror, mangelnde Religionsfreiheit in Saudiarabien.

Sie wollen kommende Woche in Wien bei einer Konferenz des Dialogzentrums gegen Gewalt im Namen der Religion auftreten. Denken Sie denn, dass Anhänger des radikalen Islamischen Staats empfänglich für Appelle von Religionsführern wie Ihnen sind?

Metropolit Emmanuel: Wir wollen eine gemeinsame Botschaft aller Glaubensrichtungen aussenden: Religionen unterstützen keine Gewalt. Ein Verbrechen im Namen der Religion ist ein Verbrechen gegen die Religion. Wir hoffen nicht, Fanatiker beeindrucken oder beeinflussen zu können. Wir erwarten keine Wunder. Aber wenn wir gemeinsam unsere Stimme erheben, wird man uns weltweit hören. Wir wenden uns an alle Menschen guten Willens. Ich denke, diese IS-Leute glauben gar nicht an einen Gott, sonst würden sie anders handeln.

Mohammed Sammak: Wir fordern die Öffentlichkeit, Christen, Moslems und Nichtgläubige auf, nicht auf den IS zu hören. Diese Terroristen entstellen und missbrauchen den Islam. Sie haben nichts zu tun mit den Wurzeln und Lehren des Islam. Man kann nur an jemanden appellieren, der bereit ist, ein Missverständnis durch Logik zu korrigieren. Wie der österreichische Philosoph Ludwig Wittgenstein sagte: Wenn Sie jemanden fragen, wie viel zwei plus zwei ist, und er sagt fünf, dann ist die Antwort falsch. Aber wenn die Antwort 79 lautet, ist das nicht nur falsch, sondern ein anderes Konzept. Die Terroristen haben ein anderes Konzept.

Wie ist es möglich, dass eine Gruppe wie der IS den Islam missbrauchen kann und mit dieser Taktik Zulauf erhält?

Ata'ollah Mohajerani: Das ist sehr kompliziert. Wir haben es wie bei einer Pyramide mit mehreren Dimensionen zu tun. Der IS rechtfertigt Terror mit Religion. Das ist nicht neu in der Geschichte. Religion wurde schon oft als Instrument verwendet, um zu Mord aufzuhetzen. Es ist unsere Pflicht zu erklären, dass Religion auf Liebe, Toleranz und Respekt vor anderen basiert.

Ob IS, al-Nusra, al-Qaida oder Hamas: Warum wird immer wieder der Islam missbraucht? Viele Menschen fragen sich, ob die islamische Welt in einer Krise steckt, die jahrzehntelang ignoriert wurde.

Sammak: Lassen Sie mich ehrlich sein. Ja, es gibt ein Problem innerhalb des Islam. Der religiöse Text im Koran oder in der Bibel ist heilig, absolut und ewig, denn wir denken, dass er von Gott kommt. Aber den Text zu verstehen und zu interpretieren, ist etwas anderes: Das ist menschlich. Und alles, was der Mensch macht, kann richtig oder falsch sein und ist auch Veränderungen unterworfen. Die Bedeutung ist relativ. Das Problem innerhalb der islamischen Welt ist: Manche betrachten die Interpretation des Textes als ebenso heilig wie den Text selbst. Wir leben im 21.Jahrhundert und haben islamische Gruppen, die den Interpretationen des Mittelalters folgen, als der Islam im Konflikt mit sich selbst und anderen war. Wir müssen den heiligen Text in der Wirklichkeit des 21. Jahrhunderts deuten.

Mohajerani: Ich stimme voll zu. Alle heiligen Texte haben die Kapazität, manche Leser in die Irre zu führen, wenn sie sich auf die Zeilen konzentrieren, ohne den Kontext herzustellen. Das ist der Beginn der Ignoranz. Die IS-Leute glauben, dass Kurden keine Moslems sind. Warum? Sie fanden eine Textstelle und interpretierten sie falsch. In Pakistan besuchte ich eine religiöse Schule nahe Peschawar mit mehr als 10.000 Studenten. Fast alle Lehrer haben sich auf den Text konzentriert, ohne zu denken. Das ist nicht nur ein Problem für die islamische Gemeinschaft, sondern auch für andere Religionen. Buddhisten ist in den Schriften nicht erlaubt, ein Tier zu töten. Aber in Myanmar töten Buddhisten zehntausende Moslems.

Emmanuel: Auch die orthodoxe Kirche liest die Bibel nicht als solche, ohne Interpretation. Fanatische Gruppen haben den Islam in den vergangenen Jahren falsch ausgelegt. Aber wir sollten den Islam deshalb nicht dämonisieren und nicht hinter jedem Moslem einen potenziellen Terroristen sehen.

Herr Mohajerani, die iranische Regierung unterstützt die palästinensische Hamas, deren Charta voll mit antisemitischen Verschwörungstheorien ist. Sollte nicht auch dieses Problem angesprochen werden?

Mohajerani: Das ist eine andere Angelegenheit. Ich bin kein Repräsentant der iranischen Regierung. Wir sollten unterscheiden zwischen Hamas, Hisbollah und dem IS. Das sind total verschiedene Gruppen.

Ja, aber auch die Hamas verfolgt eine radikale, religiös motivierte Ideologie. Die Gruppe erscheint vielleicht gemäßigt im Vergleich zu den Wahnsinnigen vom IS, es handelt sich aber nicht um Moderate.

Mohajerani: Das hängt von den Kriterien ab, wie wir Hamas und Hisbollah einschätzen. Ich unterscheide zwischen ihnen und der al-Qaida oder dem IS.

Sie alle stimmen als Direktoriumsmitglieder des Abdullah-Zentrums überein, dass der Islam modern interpretiert werden muss. Ist es da nicht sonderbar, dass ausgerechnet der Gründungsstaat und Financier des Zentrums, nämlich Saudiarabien, im eigenen Land einer fundamentalistischen Linie folgt?

Emmanuel: Ich bin nicht der Sprecher des Königreichs Saudiarabien. Aber ich möchte die Frage umdrehen: Wäre es Ihnen lieber, dass Saudiarabien sich nicht an einem Zentrum für Dialog beteiligt hätte? Es war der Wunsch des Königs selbst. Für mich war es damals auch seltsam, die Einladung zu erhalten. Erwarten Sie nicht, dass wir die Welt in ein paar Jahren verändern können. Am wichtigsten ist, dass Saudiarabien eingebunden ist.

Manche sagen, das ist Heuchelei. Eines der Themen Ihrer Konferenz nächste Woche wird religiöse Vielfalt im Nahen Osten sein. In Saudiarabien gibt es so etwas nicht.

Emmanuel: Wir stehen erst am Anfang. Wir müssen diese Veränderungen ermutigen. Es ist nicht sehr einfach, nicht einmal für den König, Änderungen in einem solchen Umfeld herbeizuführen. Es gibt heute eine christliche Bevölkerung in Saudiarabien, Arbeiter ...

Aber sie dürfen keine Kirchen bauen.

Emmanuel: Das ist eine andere Frage. Wir kämpfen um Religionsfreiheit in aller Welt. Aber es ist nicht einfach, sie überall von einem Tag auf den anderen umzusetzen. In den vergangenen Jahren habe ich viele Veränderungen gesehen. Wir sollten optimistisch sein.

Sammak: Ein Moslem muss daran glauben, dass das Christentum eine Botschaft von Gott ist. Ein Moslem muss an Jesus Christus glauben, an die Bibel. Im Koran heißt es, es ist Orientierung und Licht in der Bibel. Im Koran heißt es auch, lasst die Menschen der Bibel dem folgen, was Gott ihnen offenbart hat. Um ein Moslem zu sein, muss man auch an die Jungfräulichkeit von Maria glauben. Das sind die Prinzipien des Islam, egal, ob für einen Saudi, einen Indonesier oder einen Malaysier. Wenn man daran nicht glaubt, kann man kein Moslem sein.

Sehen Sie denn Fortschritte in Saudiarabien, Herr Sammak?

Sammak: In Saudiarabien hat sich viel verändert. 2008 lud König Abdullah moslemische Gelehrte aller Richtungen nach Mekka und stieß einen Dialog mit anderen Religionen an. Viele dachten bis dahin, der Islam sei keine Religion des Dialogs, sondern der Dawa (missionarischer Ruf zum Islam; Anm.).

Aber Religionsfreiheit gibt es auch heute noch nicht in Saudiarabien.

Sammak: Aber damals hielten die Gelehrten fest, dass Religionsfreiheit und Dialog Teil der Lehre des Islam sind. Von Mekka ging der der König nach Madrid zur ersten interreligiösen Konferenz. Und jetzt sind wir in Wien als internationale Organisation und nicht als eine Saudi-Organisation.

Wie würden Sie das Los von Christen im Irak und in Syrien beschreiben?

Emmanuel: Fast alle Christen sind aus dem Irak geflüchtet. Die Situation im Syrien ist anders.

Sie meinen, die Christen werden von Assad geschützt.

Emmanuel: Die Christen in Syrien konnten Messen feiern, hatten ihre Schulen, lebten friedlich mit Sunniten und Schiiten zusammen. Wir unterstützen Assads Regime nicht. Was Assad in den vergangenen Jahren tat, war nicht richtig für das Land. Das könnte zur selben Situation führen, in der der Irak heute ist.

Im Irak sind die Christen fast ausgelöscht. Vermissen Sie die Solidarität von Regierungen und Führern anderer Religionen?

Emmanuel: Ich gebe anderen Religionen nicht die Schuld. Sie tragen die wenigste Verantwortung für die Situation in Syrien oder im Irak. Aber die internationalen Mächte haben den Irak nicht sorgfältig genug analysiert. Deshalb sind wir im heutigen Dilemma gelandet. Aber das ist nicht der einzige Fehler der internationalen Gemeinschaft. Was haben wir mit Libyen gemacht? In Libyen hatten wir lange mit einer Person zu tun, mit Gaddafi. Aber jetzt herrscht dort Chaos. Wir müssen uns das soziale Geflecht in den Ländern genauer anschauen und nicht mit westlichen Augen auf die Region sehen. Wir können Libyen nicht mit Syrien vergleichen und Syrien nicht mit dem Irak.

Mohajerani: Im Irak müssen wir unterscheiden. Im kurdischen Norden und in den Gebieten, die von der Regierung kontrolliert werden, haben Christen keine Probleme. Desaströs ist ihre Lage nur dort, wo der IS herrscht.

Die Christen hatten es im Irak schon mit Terroranschlägen zu tun, bevor der IS existierte.

Mohajerani: Die irakische Regierung hat immer die Christen unterstützt.

Sammak: Christen wurden im Irak auch während der US-Besatzung schlecht behandelt. Sogar die Amerikaner wagten nicht, sie zu schützen. Das Christentum war schon vor dem Islam im Nahen Osten. Ich kann mir keinen Nahen Osten ohne Christen, ohne dieses orientalische Gewebe vielfältiger Ethnien und Religionen, vorstellen. Die Christen des Nahen Ostens litten in den vergangenen Jahrzehnten ebenso wie Moslems unter politischer Unterdrückung. Und sie zahlten einen hohen Preis dafür. Jetzt haben sie Angst, dass politische Unterdrückung zur religiösen Unterdrückung wird, und damit noch gefährlicher. Christen und Moslems sitzen im selben Boot. Sie müssen gemeinsam kämpfen gegen Terror, Extremismus und Repression, ganz egal, woher sie kommt, von Religionen oder politischen Körperschaften. Religionsfreiheit zu respektieren ist nicht genug. Auch Menschenrechte müssen geachtet werden. In die Kirche gehen zu können, ist noch keine volle Freiheit.

Warum zögerte das Abdullah-Zentrum so lang, aktuelle politische Fragen anzuschneiden?

Emmanuel: Wir sind nicht die UNO, wir sind keine politische, sondern eine interreligiöse Organisation.

Konferenz

Am 19.November veranstaltet das von Saudiarabien finanzierte König-Abdullah-Zentrum für interreligiösen und interkulturellen Dialog in Wien
eine Konferenz unter dem Titel „Vereint gegen Gewalt im Namen der Religion – Schutz der religiösen und kulturellen Vielfalt im Irak und Syrien“. Damit reagiert die umstrittene Organisation auch auf Kritik.

Zwei Dutzend Würdenträger diverser Konfessionen aus Nahost nehmen teil, unter anderen die Großmuftis von Jordanien und Ägypten, Patriarch Gregorius III., Patriarch Louis RaphaelI. und Patriarch Ignatius Youssef.

Steckbrief

Metropolit Emmanuel
Der griechisch-orthodoxe Metropolit Emmanuel von Frankreich (geb.1958 auf Kreta) ist Mitglied des neunköpfigen Direktoriums im König-Abdullah-Dialogzentrum.

Mohammed Sammak
Mohammed Sammak ist Berater des libanesischen Großmuftis Mohammed Rashid Qabbani. Der Sunnit ist Generalsekretär des Nationalen Komitees für islamisch-christlichen Dialog und von Anfang an im Direktorium des Abdullah-Zentrums in Wien.

Seyyed Ata'ollah Mohajerani
Seyyed Ata'ollah Mohajerani war von 1996 bis 2000 iranischer Kulturminister unter Präsident Mohammad Khatami. Nach seinem erzwungenen Rücktritt leitete er bis 2003 das Zentrum für den Dialog der Zivilisationen in Teheran.

2009 verließ der Sympathisant der grünen Reformbewegung den Iran und lebt seither mit seiner Frau, der ehemaligen Parlamentarierin Jamileh Kadivar, in England.

Seit Gründung des Abdullah-Zentrums ist der schiitische Nachfahre von Prophet Mohammed (deshalb „Seyyed“) im Direktorium vertreten.

Fabry, www.kaiciid.org(2)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.11.2014)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

Symbolbild: Eine saudische Flagge, aufgenommen in Paris
Wien

Wien: Stadtschulrat überprüft Saudi-Schule

Ein Schulbuch, das in der Internationalen Schule des Königreichs Saudiarabien in Wien verwendet wird, soll Propaganda gegen Juden enthalten.
Schule

Islamische Schule: "Extrem konservative" Eltern als Problem

Nach einem Streit um den Musikunterricht behält die Schule in Floridsdorf vorerst das Öffentlichkeitsrecht. Nun wird aber der Schulerhalter geprüft.
Wien

Islamische Schule: Streit um Musikunterricht

Eltern sollen die Teilnahme ihrer Kinder am Unterricht verhindert haben, weil Musik gemäß Islam verboten sei. Der Stadtschulrat prüft nun die Schule.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.