Libyen: Die Gewaltherrschaft der Extremisten

(c) REUTERS (ESAM OMRAN AL-FETORI)
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Das Land stürzt immer tiefer in die Unregierbarkeit. In der Kleinstadt Derna im Osten Libyens machen sich militante Gruppen breit, die zum Teil mit IS verbündet sind.

Wien/Tripolis. Die Maskierten trieben die acht jungen Männer auf dem Platz vor der alten Moschee zusammen. Dann begannen sie, ihre Opfer auszupeitschen. 40 Hiebe erhielt jeder der Männer. Das „Vergehen“ der acht jungen Libyer: Sie waren angeblich beim Trinken von Alkohol auf einer Party erwischt worden. Dieser Übergriff ist nur einer der Misshandlungsfälle, die die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) in ihrem am Donnerstag veröffentlichten Bericht über die ostlibysche Stadt Derna zusammengetragen hat. „Extremisten terrorisieren die Bewohner Dernas“ heißt der Report, in dem von öffentlichen Erschießungen, Entführungen und Attentaten berichtet wird.

Die Kleinstadt Derna galt in Libyen schon immer als Hochburg von Aktivisten, die sich auf eine extreme Auslegung des Islam berufen. Veteranen, die in Afghanistan gekämpft haben, haben sich hier niedergelassen. In den Wirren rund um den Aufstand gegen den einstigen Machthaber Muammar al-Gaddafi 2011 gewannen militante Gruppen in Derna an Einfluss.

Extremisten-Milizen wie Ansar al-Sharia treiben hier schon seit Längerem ihr Unwesen. Die stärkste Gruppe in Derna scheint mittlerweile der sogenannte Schurarat der Islamischen Jugend zu sein, den Human Rights Watch auch für die Auspeitschung der acht jungen Männer, für öffentliche Hinrichtungen und andere schwere Übergriffe verantwortlich macht. Die Kämpfer des Schurarats haben erst vor Kurzem verkündet, Teil des „Kalifats“ zu sein, das die Extremisten des sogenannten Islamischen Staates (IS) ausgerufen haben. Der IS kontrolliert große Teile des Irak und Syriens und hat schwere Verbrechen an Yeziden und anderen religiösen Minderheiten begangen. Mit den Extremisten in Derna hat der IS nun gleichsam auch eine erste Filiale in Libyen.



Das Land ist in den vergangenen Monaten immer tiefer ins Chaos gerutscht. In der Hauptstadt Tripolis haben Milizen die Macht übernommen, die zum Teil islamistisch orientiert sind und von der Hafenstadt Misrata – einem der wichtigsten Machtzentren Libyens – unterstützt werden. Das neu gewählte Parlament Libyens ist aus Tripolis nach Tobruk im äußersten Osten des Landes geflohen. Es steht de facto unter dem Schutz des ehemaligen Gaddafi-Generals Khalifa Haftar, der seinen persönlichen Feldzug gegen islamistische Gruppen gestartet hat und die Macht in ganz Libyen beansprucht.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.11.2014)

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