Putins pragmatische Männerfreundschaft mit Erdoğan

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Der russische Präsident besucht Ankara. In Syrien stehen Putin und Erdoğan auf verschiedenen Seiten, doch sie teilen Wirtschaftsinteressen.

Istanbul. Scharfe politische Gegensätze in Syrien und anderswo, aber trotzdem prächtige Beziehungen: Herzlich empfing der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan am Montag in Ankara den russischen Präsidenten Wladimir Putin, der mit großem Gefolge zu einem eintägigen Arbeitsbesuch in die türkische Hauptstadt gekommen war. Beide Länder sind entschlossen, ihre regionalpolitischen Differenzen zu ignorieren und sich auf den Ausbau ihrer wirtschaftlichen Beziehungen zu konzentrieren. „Realpolitik in Aktion“, kommentierte der frühere EU-Botschafter in der Türkei, Marc Pierini, auf Twitter. Putins Besuch bot zudem die Gelegenheit, gemeinsam mit Erdoğan über den Westen zu schimpfen.

Anlass für den Besuch Putins war das Treffen eines gemeinsamen Regierungsausschusses mit der Türkei, die einer gemeinsamen Kabinettsitzung gleichkam. Gleich zehn russische Minister begleiteten Putin. Aus türkischer Sicht ging es bei dem Besuch vor allem darum, die Russen zu einer Senkung des Erdgaspreises zu bewegen. Russland liefert rund zwei Drittel des in der Türkei benötigten Gases; die Türkei ist der zweitgrößte Abnehmer von russischem Gas nach Deutschland.

Diese Abhängigkeit ist ein wichtiger Grund dafür, dass der sonst nicht um klare Worte verlegene Erdoğan bei Russland auffällig zahm agiert. So kritisierte die Türkei zwar die Annexion der Krim durch Moskau, schloss sich aber nicht den westlichen Sanktionen gegen Russland wegen der Ukraine-Krise an. Die Türkei glaube nicht an die Wirksamkeit solcher Sanktionen, hieß es in türkischen Regierungskreisen als Begründung. Stattdessen versucht die Türkei, die durch die Sanktionen entstandene Lücke durch eigene Exporte zu füllen.

Russen bauen AKW für die Türkei

Auf 100 Milliarden Dollar im Jahr wollen die beiden Länder ihren Handelsaustausch in den kommenden Jahren ausbauen, das wäre das Dreifache des bisherigen Volumens. Rund hundert türkische Bauunternehmen sind derzeit in Russland tätig; im Gegenzug schickt Russland jährlich vier Millionen Touristen an türkische Strände.

Zudem bauen die Russen das erste türkische Atomkraftwerk, das im kommenden Jahrzehnt im südtürkischen Akkuyu ans Netz gehen soll. Kurz vor seinem Besuch ging Putin in einem Interview mit der türkischen Nachrichtenagentur Anadolu eigens auf die Bedeutung des 20-Milliarden-Dollar-Projekts für die Beziehungen ein.

Als Gastgeschenk für Russlands Präsidenten erklärte das türkische Umweltministerium am Montag, die Umweltverträglichkeitsprüfung für Akkuyu sei positiv abgeschlossen worden – Atomkraftgegner warnen dagegen vor einer Erdbebengefahr in der Umgebung des geplanten Kraftwerks.

Der „Hundert-Milliarden-Dollar-Besuch“ wurde Putins Visite in türkischen Medien genannt. Angesichts der großen Pläne für die Wirtschaftsbeziehungen wollten Putin und Erdoğan keine Zeit mit außenpolitischem Streit vergeuden. Natürlich könne es unterschiedliche Positionen der beiden Staaten geben, sagte Putin. Das sei bei unabhängigen Staaten mit eigener Außenpolitik völlig normal.

„Spezielle Beziehungen“

Ein türkischer Regierungsvertreter äußerte sich vor dem Putin-Besuch ähnlich. Er bezeichnete den Anschluss der Krim an Russland als illegal, sprach aber gleichzeitig vom Wert der „speziellen Beziehungen“ zu Moskau. Auch persönlich haben Putin und Erdoğan angeblich ein gutes Verhältnis, die beiden Präsidenten haben in den vergangenen Monaten mehrmals miteinander telefoniert.

Kritik am Westen gehört bei beiden Politikern zum Alltag. Sogar beim Streitthema Syrien ergeben sich dabei Gemeinsamkeiten, obwohl Erdoğan eine Entmachtung des syrischen Präsidenten Bashar al-Assad fordert und Putin zu Assads wichtigsten Partnern gehört. Im Anadolu-Interview betonte Putin in Anspielung auf angebliche westliche Interessen, eine Lösung für Syrien müsse „ohne Hintergedanken“ angestrebt werden. Erdoğan äußerte sich jüngst ganz ähnlich und wirft dem Westen vor, sich in Nahost nur für die Kontrolle über Öl und Gas zu interessieren.

Die Türkei benutzt die Andeutung einer möglichen Annäherung an Russland bereits seit Längerem als Warnung an den Westen. Erdoğan dachte in den vergangenen Jahren schon laut darüber nach, ob er die EU-Bewerbung seines Landes stoppen und die Türkei stattdessen auf eine Mitgliedschaft in der Schanghai-Organisation ausrichten solle, ein Zusammenschluss von Russland, China und einigen zentralasiatischen Staaten.

Gleichzeitig ist das wegen der Ukraine-Krise international isolierte Russland auf der Suche nach neuen Partnern, wobei Nato-Mitglied und EU-Aspirant Türkei ganz besonders interessant sei, schrieb der Russland-Experte Hakan Aksay in einem Beitrag für das türkische Online-Portal T24. Die Türkei sei für Russland „wegen ihrer geostrategisch wichtigen Lage und ihrer Probleme mit dem Westen wertvoll“. Auch die Türkei habe in ihrer Region viele Freunde und Partner verloren. „Hand in Hand gegen den Westen“ sei deshalb eine Option für beide Länder.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.12.2014)

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