Tschetschenien: Gefechte mit Islamisten im Zentrum Grosnys

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Am Donnerstagmorgen kam es zu dramatischen Szenen in der Hauptstadt der russischen Teilrepublik. Bewaffnete verschanzten sich in zwei Gebäuden, mehrere Sonderpolizisten wurden bei Schießereien getötet.

Wien/Grosny. Die Bewohner von Grosny mieden gestern das Zentrum der tschetschenischen Hauptstadt, Schulen blieben geschlossen. „Jetzt sind zwar keine Schüsse mehr zu hören“, erzählte ein Familienvater der „Presse“ gestern am frühen Nachmittag. „Aber wir gehen heute nicht vor die Tür.“

Donnerstagfrüh, gegen 2.30 Uhr Lokalzeit, kam es in Grosny zu einer Explosion und zu Schusswechseln. Offenbar hatte eine Polizeistreife ein Auto, in dem sich Bewaffnete befanden, aufhalten wollen. Die Bewaffneten sollen das Feuer auf die Polizisten eröffnet haben. Sie verschanzten sich in einem Schulgebäude sowie im „Haus der Presse“, einem mehrstöckigen Gebäude, in dem verschiedene Medien untergebracht sind. Es fing Feuer und brannte gestern fast vollständig aus. Auch der daneben befindliche Berkat-Markt – ein Prestigeprojekt in Ramsan Kadyrows neuem, wiederaufgebautem Grosny – stand in Flammen. Sicherheitskräfte fuhren mit gepanzerten Wagen auf, schossen mit Panzerabwehrrohren und Sturmgewehren auf die besetzten Gebäude. Die dramatischen Szenen ereigneten sich mitten im Zentrum Grosnys; nur ein paar Schritte entfernt vom Gedenkmausoleum für Achmat Kadyrow, den Vater von Präsident Ramsan Kadyrow.

Die gut informierte Webseite „Kaukasischer Knoten“ berichtete unter Berufung auf Polizeiquellen, dass bei der „Anti-Terror-Operation“ zehn Sonderpolizisten getötet und 20 verletzt worden seien. Kadyrow schrieb in sozialen Netzwerken, dass neun Kämpfer getötet worden waren. „Kein einziger Bandit wird davonkommen!“, schwor er wortgewaltig. Berichten zufolge soll sich die Terrororganisation Kaukasus-Emirat zu der Attacke bekannt haben. Kolportiert wurde auch, dass der Angriff ein Vergeltungsakt von Terroristen war, der sich gegen die „Unterdrückung der muslimischen Frau“ wandte.

Nach einer Periode relativer Ruhe ist es in diesem Jahr zu mehreren schweren Angriffen tschetschenischer Rebellen auf Sicherheitskräfte gekommen. In Grosny sprengte sich am 5. Oktober – dem Geburtstag Kadyrows – ein Selbstmordattentäter am Eingang eines Konzertsaals in die Luft, es starben fünf Menschen. Im April forderte eine Attacke auf ein Militärfahrzeug vier Tote. In den russischen Teilrepubliken Tschetschenien, Dagestan und Inguschetien kämpfen seit Jahren militante Islamisten für die Unabhängigkeit von Moskau und für die Errichtung eines Kaukasus-Kalifats. Zuletzt war die Untergrundbewegung empfindlich geschwächt worden. Rebellenführer Doku Umarow ist im September 2013 ums Leben gekommen. Auch die höhere Attraktivität von Einsatzorten wie Syrien macht den Kaukasus-Jihadisten zu schaffen.

Der Familienvater aus Grosny zeigt sich im „Presse“-Gespräch über den Angriff vom Donnerstag nicht verwundert: Das islamistische Problem sei nie gelöst, sondern nur von den Sicherheitskräften „eingefroren“ worden. „Sobald sich eine Schwachstelle findet, fangen die Attacken wieder an.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.12.2014)

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