New Yorks linker Hoffnungsträger entzaubert sich

(c) REUTERS (SHANNON STAPLETON)
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Sein erstes Amtsjahr hat sich der New Yorker Bürgermeister Bill de Blasio anders vorgestellt. Skandalumwitterte Berater und ein öffentlich ausgetragener Streit mit der Polizeigewerkschaft trüben sein Image als weltgewandter Strahlemann.

Bill de Blasios Ungemach begann am 2. Februar vor einem Jahr. An diesem dank des gleichnamigen Hollywood-Films weltbekannten Groundhog Day entglitt dem frisch ins Amt gekommenen Bürgermeister von New York City bei einem öffentlichen Auftritt das Murmeltier Chuck aus dem Tiergarten von Staten Island. Ein fataler Fall, wie die Zooverwaltung erst im September bekannt geben sollte: Eine Woche nach dem Absturz aus de Blasios Armen war Chuck an inneren Verletzungen verblichen.

Auf diese skurrile Episode sollte ein Jahr folgen, im Verlauf dessen sich der 53-jährige Hoffnungsträger des linken Flügels der Demokratischen Partei mit Undiszipliniertheiten, einer problematischen Personalauswahl und seiner, gelinde gesagt, ungeschickten Reaktion auf den Mord an zwei Polizisten knapp vor Weihnachten enorm geschadet hat. In der derzeit aktuellsten Meinungsumfrage, durchgeführt von der Quinnipiac University knapp vor der Ermordung der Streifenbeamten Rafael Ramos und Wenjian Liu am 20. Dezember, sprach zwar eine knappe Mehrheit von 53 Prozent der New Yorker ihrem Bürgermeister das Vertrauen aus. In der Frage, ob wer der einflussreichere Politiker sei, hatte jedoch Andrew Cuomo, der Gouverneur des Bundesstaates New York, mit 67 zu 25 Prozent klar die Oberhand. „Bürgermeister de Blasio versucht stark, als nationaler, sogar internationaler Fürsprecher des politischen Liberalismus anerkannt zu werden, aber bisher funktioniert das bei seinen eigenen Nachbarn nicht“, resümierte Maurice Carroll, einer der Organisatoren der Umfrage.


Stummer Polizeiprotest. Zudem dürfte die Beliebtheit des Bürgermeisters in den drei Wochen seit dieser Umfrage enorm gelitten haben. Denn die Feindseligkeit zwischen ihm und großen Teilen der Polizeibeamten – allen voran der politisch einflussreichen Gewerkschaft der Exekutivbeamten – hat sich auf eine Weise bemerkbar gemacht, die das Sicherheitsempfinden der Menschen in dieser Millionenstadt wesentlich trüben dürfte. Im Protest gegen de Blasios oft und gern auch recht pathetisch vorgetragene Kritik an tatsächlichen und angeblichen rassistischen Übergriffen der New Yorker Polizei gegen Schwarze machen viele Beamte seit Weihnachten „Dienst nach Vorschrift“, sprich: ohne Engagement. In der aktuellsten Statistik für die Woche von 29. Dezember bis 4. Jänner sank die Zahl der Festnahmen in öffentlichen Verkehrsmitteln von 751 vor einem Jahr auf 32. Die Abteilung der Polizeibehörde, die für die Sicherheit in den öffentlichen Sozialbauten zuständig ist, verhaftete heuer 80 Personen. In der gleichen Woche vor einem Jahr waren es 377. Diese Abteilung hat übrigens mehr als 2000 Polizisten. Insgesamt sank die Zahl der Verhaftungen binnen Jahresfrist um 55,9 Prozent.

Dass das nicht an einem Rückgang des Verbrechens lag, war allen Beobachtern der New Yorker Polizeiarbeit rasch bewusst. Am Freitag gab Polizeichef Bill Bratton in einem Radiointerview zu, dass der Rückgang der Polizeitätigkeit auf eine gezielte Aktion der Gewerkschaft zurückgegangen sei. Schon am Abend des 20. Dezember, ein paar Stunden, nachdem ein geistig verwirrter Gewalttäter die in ihrem Dienstwagen sitzenden Streifenpolizisten Ramos und Liu aus nächster Nähe erschossen hatte, kursierten Handzettel, die zu diesem obstruktivem Protest aufriefen.

Wie lang dieser Konflikt de Blasio nachhängen wird, kann man nicht abschätzen. Die Bilder der hunderten Polizisten, die ihm bei den öffentlichen Begräbnissen von Ramos und Liu demonstrativ den Rücken kehrten, bleiben jedenfalls noch lang in Erinnerung. Sie veranschaulichen, wie der Bürgermeister durch Unbedachtheit sein Verhältnis mit der Exekutive verschlechtert hat. Im Zug der landesweiten Kundgebungen gegen Polizeigewalt an Schwarzen hatte sich de Blasio, dessen Ehefrau Chirlane McCray schwarz ist, demonstrativ auf die Seite der Demonstranten gestellt. Dabei hatte er unter anderem bekundet, er habe jedes Mal, wenn sein halbwüchsiger Sohn Dante das Haus verlasse, Angst um dessen Leben – worin implizit der Vorwurf liegt, die New Yorker Polizei gehe mit dem Leben schwarzer junger Männer besonders rücksichtslos um.


Der glatte Reverend Sharpton. In seinem Bestreben, als weißer Bürgermeister gute Beziehungen zur politisch organisierten Klasse schwarzer Meinungsmacher zu pflegen, hat sich de Blasio zudem eng an den Prediger und Bürgerrechtsaktivisten Al Sharpton gebunden. Der stets in maßgeschneiderten Anzügen gewandete 60-jährige Geistliche, dessen eigene politische Ambitionen in mehreren Anläufen auf die demokratische Präsidentenkandidatur zerschellten, gilt auch Präsident Barack Obama als Vermittler zur „Community“. Ob Sharpton allerdings wirklich so einen engen Draht vor allem zu jüngeren Schwarzen hat, ist mehr als fraglich. Zu einer von ihm mit viel Aufwand organisierten Kundgebung gegen Rassismus und Polizeigewalt vor dem Kapitol in Washington kamen im Dezember nur wenige tausend Teilnehmer.

Darüber hinaus ist Sharptons langjähriger Umgang mit Geld äußerst fragwürdig. Das „Wall Street Journal“ und die „New York Times“ veröffentlichten binnen kurzer Folge im Herbst aufwendig recherchierte Berichte über Steuerschulden Sharptons und seiner Organisation, des National Action Network, in der Höhe von 4,5 Millionen Dollar (3,8 Millionen Euro). Besonders pikant ist, dass ein Großteil davon unbezahlte Lohnsteuer für seine Mitarbeiter ist: Das macht für Sharpton, der in seiner eigenen TV-Show auf dem linksliberalen Kabelsender MSNBC nicht müde wird, soziale Ungerechtigkeiten zu geißeln, keinen schlanken Fuß. Kritiker nehmen ihm zudem übel, im Laufe seiner Karriere immer wieder auf demagogische und bisweilen wahrheitsferne Weise den Zorn der Schwarzen gegen Weiße, Asiaten und Juden angestachelt zu haben. Berüchtigt ist der Fall der jungen schwarzen Tawana Brawley, die 1988 erklärte, von mehreren weißen Männern geschändet worden zu sein. Diese Vorwürfe erwiesen sich bald als komplett erfunden und erlogen. Als Sharpton einem der auf diese Weise um ihren Ruf gebrachten Männer zehn Jahre später 65.000 Dollar Schadenersatz zahlen musste, erklärte er, mittellos zu sein, obwohl seine Tochter in eine teure Privatschule ging und die Familie in einer weitläufigen Wohnung in Manhattan lebte. Als wiederum der Chauffeur eines chassidischen Rabbiners bei einem Verkehrsunfall einen schwarzen Buben tötete, zog Sharpton gegen die „Diamantenhändler hier im Viertel“ vom Leder, womit er die orthodoxen Juden von Brooklyn pauschalierte.

De Blasio hatte mit dieser problematischen Geschichte kein Problem. Mehr noch: Er machte Sharptons Pressesprecherin, Rachel Noerdlinger, zur Büroleiterin seiner Gattin. Bald kam zutage, dass Noerdlingers Lebensgefährte, Hassaun McFarlan, wegen Totschlags vorbestraft ist und im Herbst 2013 beinahe einen Verkehrspolizisten überfahren hätte. Noerdlinger hatte diese Umstände vorschriftswidrig verschwiegen. De Blasio ließ die wachsende Kritik an Noerdlinger abperlen und warf den Medien pauschal eine Hexenjagd vor. Als Noerdlingers 17-jähriger Sohn im Herbst wegen wiederholten Hausfriedensbruchs verhaftet wurde, konnte der Bürgermeister jedoch nicht mehr an ihr festhalten.


Dauerstreit mit Rechnungshof. Problematisch ist auch de Blasios Umgang mit Kritik an seiner Finanzgebarung. Seit Monaten ist er mit Scott Stringer, dem Leiter des Rechnungshofes von New York, in einem Kleinkrieg verfangen. Stringer kritisierte zum Beispiel de Blasios Plan, alle öffentlichen Telefonzellen durch Sender für den drahtlosen Zugang zum Internet zu ersetzen. Diese digitale Offensive würde die Kluft zwischen Arm und Reich vertiefen, weil das Wifi-Netz in den ärmeren Stadtteilen laut Vertrag mit dem Telekomausrüster wesentlich langsamer wäre als jenes im Finanz- und Medienzentrum Manhattan. Ein paar Tage vor Weihnachten wiederum legte Stringer schwere Missstände in der Wohnbaubehörde vor, die einen ungedeckten Kapitalbedarf von 18 Milliarden Dollar habe und rund 700 Millionen Dollar an Zuschüssen aus dem Bundesbudget wegen eigener Fehler versäume.

Kündigen kann de Blasio den unliebsamen Stringer nicht; er ist vom Volk gewählt. Aber zumindest eine Bürde ist der Bürgermeister fortan los: Der Zoo von Staten Island hat beschlossen, dass fortan nur geschulte Tierpfleger am Groundhog Day mit den Murmeltieren hantieren dürfen.

Mit »Dienst nach Vorschrift« protestiert New Yorks Polizei gegen ihren Bürgermeister.

Ein enger Berater de Blasios hat millionenschwere Steuerschulden.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.01.2015)

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