Die Terroristen schlüpften durch die Maschen

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Frankreich räumt Lücken bei der Überwachung ein: Die Attentäter waren schon vor Jahren aufgefallen. Ein al-Qaida-Ableger droht mit neuen Anschlägen.

Noch regiert in Frankreich die Trauer nach den mörderischen Anschlägen der drei islamistischen Terroristen, da tauchen bereits neue Drohungen auf. In einer Videobotschaft hat ein ranghoher Vertreter des Terrornetzwerks al-Qaida auf der Arabischen Halbinsel weitere Gewalt angekündigt: „Ihr werdet nicht mit Sicherheit gesegnet sein, so lang ihr Allah, seinen Verkünder und die Gläubigen bekämpft.“

Ein echter Konnex zu den Attentätern ist gut möglich: Saïd Kouachi, einer der beiden Brüder, die am Mittwoch bei der Satirezeitschift „Charlie Hebdo“ ein Blutbad angerichtet haben, hat kurz vor seinem Tod in einem Telefongespräch mit einem Fernsehsender gesagt, er sei von al-Qaida ausgebildet, beauftragt und finanziert worden. Wenn das stimmt, ist es ihm gelungen, diese Kontakte zu verheimlichen. Wie so vieles andere auch.

Ganz Frankreich stellt sich nun die Frage: Wie konnte es kommen, dass diese drei Männer, die Brüder Kouachi (32 und 34 Jahre alt) und Amedy Coulibaly (32), die alle der Antiterrorpolizei und auch der Justiz schon seit vielen Jahren bekannt waren, zuletzt doch durch alle Maschen der Überwachung geschlüpft sind?

Premierminister Manuel Valls räumte freimütig ein, dass es „Lücken“ in der Überwachung gegeben habe. Er gab aber zu bedenken: Wie im Fall der Brüder Kouachi kann es passieren, dass sich Verdächtige längere Zeit ruhig verhalten und so die Beamten täuschen. Vor allem aber seien die Dienste überfordert von der Zahl der potenziell gefährlichen Sympathisanten des radikalen Islamismus. Rund 1400 seien nach Syrien oder Irak in den Jihad gegangen oder beabsichtigten, dies zu tun. Die Regierung könne nicht jeden individuell überwachen, gestand Valls ein – und betonte zugleich, dass die Mittel für Terrorismusbekämpfung und Prävention bereits massiv verstärkt worden seien.

Verhaltene Kritik kommt aus den USA. Mehrere Reisen von Saïd Kouachi in den Jemen ab 2009 und ein längerer Aufenthalt dort, allem Anschein nach in einem al-Qaida-Ausbildungslager, hätten Alarm auslösen müssen, heißt es aus amerikanischen Geheimdienstquellen. Für Frankreich sei der Jemen aber damals „keine Priorität“ gewesen. Zu spät wurde auch entdeckt, welche langjährigen Verbindungen zwischen Chérif Kouachi und Amedy Coulibaly existierten. Beide standen im Gefängnis in Kontakt mit äußerst gefährlichen Organisatoren von Attentaten.

Coulibaly war in seiner Jugend fünf Mal wegen Raubüberfällen verurteilt und von Gerichtspsychiatern als „unreife und psychopathische Persönlichkeit“ beschrieben worden. Dennoch gelang es ihm, alle zu überlisten, sogar Nicolas Sarkozy, der ihn als Präsident im Juli 2009 zusammen mit anderen Teilnehmern eines Programms für professionelle Integration wie einen Musterschüler im Elysée-Palast empfing.

Dessen Freundin, Hayat Boumeddiene, wird nun intensiv gesucht. Boumeddiene wird vorgeworfen, an Coulibanys tödlichem Attentat auf eine Polizistin im Süden von Paris beteiligt gewesen zu sein. Nach dem Tod der drei Angreifer ist sie die einzige bekannte Überlebende, über die man etwas über die Hintermänner der Anschlags erfahren könnte. Es gibt vieles, das Boumedienne schwer belastet. So soll sie innerhalb eines Jahres 500 Telefongespräche mit der Ehefrau von Cherif Kouachi geführt haben. Und sie wurde 2010 im Zusammenhang mit den Pariser Metro-Attentaten 1995 befragt und zeigte schon damals Verständnis für islamistische Attentate. Zum Zeitpunkt des aktuellen Anschlags soll die 26-Jährige allerdings gar nicht in Frankreich gewesen sein: Mehreren Quellen zufolge habe sie das Land letzte Woche verlassen und sei in der Türkei – oder bereits in Syrien.

Offen ist noch, wie die Terroristen zu schweren Waffen und Munition kamen. In französischen Medien wird berichtet, wie leicht es sein soll, per Internet für 300Euro eine Kalaschnikow aus Ex-Jugoslawien zu kaufen. Auch in der Unterwelt sind diese Waffen sehr verbreitet. Weltweit sollen rund hundert Millionen Schnellfeuergewehre dieses sowjetischen Modells im Umlauf sein.

Sicherheitsexperten bedauern den Mangel an Mitteln und Personal. Das führe zu strengen Prioritäten bei der Überwachung. Derzeit gelte das Augenmerk vor allem den aus Syrien heimkehrenden Jihadisten. Nun wird klar, dass es Leute gibt, die über Jahre „wie schlafende Agenten“ den Anschein braver Bürger erwecken, bevor sie aktiv werden – beunruhigend für die Bürger und eine besondere Herausforderung für die Polizei.

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("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.01.2015)

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