Der US-Präsident erwähnte den Konflikt zwischen Israel und Palästinensern mit keinem Wort und sprach auch nicht mehr vom Regimewechsel in Syrien.
Washington. Es mag einem neu gefundenen Sinn für Realismus geschuldet sein oder der Resignation nach sechs Jahren gescheiterter Friedensinitiativen, unzweifelhaft dürfte nun jedenfalls feststehen: Amerikas Präsident, Barack Obama, wird in den letzten beiden Jahren keine großen neuen weltpolitischen Unterfangen im Nahen Osten beginnen.
In seiner sechsten und vorletzten Rede zur Lage der Nation in der Nacht auf Mittwoch erwähnte Obama den Konflikt zwischen Israel und den Palästinensern mit keinem Wort. Von seiner jahrelang einem Mantra gleich vorgetragenen Forderung, dass der syrische Diktator, Bashar al-Assad, abtreten müsse, war nichts mehr zu hören. Und obwohl nur wenige Stunden vor seiner Rede schiitische Rebellen den von Washington geförderten jemenitischen Präsidenten gestürzt hatten, schwieg Obama zu dieser Krise, die enorme Auswirkungen auf das Handeln der benachbarten sunnitischen Führungsmacht Saudiarabien haben könnte.
Kampf gegen IS sei erfolgreich
Das ist eine bemerkenswerte Wende, wenn man sich an Obamas Rede vor einem Jahr erinnert. Damals hatte er noch die amerikanische Diplomatie gelobt, „die Israelis und Palästinenser dabei unterstützt, schwierige, aber wichtige Gespräche zu führen, um den dortigen Konflikt zu beenden, einen unabhängigen Staat für die Palästinenser zu schaffen sowie dauerhaften Frieden und Sicherheit für Israel“. Der Ausbruch der schweren Kämpfe zwischen der israelischen Armee und der Terrororganisation Hamas im Gazastreifen, die zunehmende Radikalisierung der israelischen Regierung unter Ministerpräsident Benjamin Netanjahu und der Antrag der Palästinenser auf Ermittlungen des Internationalen Strafgerichtshofes in Den Haag gegen israelische Soldaten dürften Obamas Hoffnung auf einen neuen Durchbruch für einen dauerhaften Frieden begraben haben. Selbiges scheint für seine Sicht auf den syrischen Bürgerkrieg und die Rolle von Präsident Assad zu gelten. Vor einem Jahr sprach Obama noch von einer Zukunft, wie sie das syrische Volk verdient – einer Zukunft ohne Diktatur, Terror und Angst“, also ohne Assad. Nun erwähnte er die „gemäßigte Opposition in Syrien“ nur im Zusammenhang mit dem Kampf gegen die Terrorarmee des Islamischen Staates (IS).
Diesen Kampf stellte Obama in einem positiven Licht dar. Es sei dem von den USA geführten Militärbündnis gelungen, den Vormarsch der IS-Kämpfer in Syrien und im Irak zu stoppen. Diese Behauptung ist angesichts der unverminderten Kontrolle des IS über weite Teile beider Länder zumindest hinterfragenswert.
Vor Beginn einer neuen Runde an Verhandlungen über das iranische Atomwaffenprogramm wiederholte der Präsident seine Haltung, eventuelle neue Sanktionen des republikanisch geführten Kongresses gegen Teheran mit einem Veto zu verhindern.
Der Großteil seiner ziemlich genau eine Stunde dauernden Ansprache galt der Stärkung der amerikanischen Mittelschicht. Obama schlug dafür höhere Steuerabschreibposten für Kinderbetreuung, ein neues Gesetz zur Schaffung eines Rechtsanspruchs auf sieben Tage Krankenstand pro Jahr und die Aufhebung der Studiengebühren für zweijährige Community Colleges vor. All das hatte sein Kabinett bereits in den Tagen vor der Rede an die Öffentlichkeit gespielt, und es war fast durchwegs von den Republikanern, deren Zustimmung für solche Gesetze erforderlich ist, mit Vehemenz abgelehnt worden.
„Keine unnötigen Konflikte“
Obama verteidigte seine außenpolitische Haltung, „nicht in unnötige Konflikte hineingezogen zu werden“, auch in Hinblick auf die Ukraine. „Wir halten den Grundsatz aufrecht, dass größere Nationen kleinere nicht drangsalieren dürfen – indem wir uns Russlands Aggression widersetzen und die Demokratie in der Ukraine unterstützen.“ Im vergangenen Jahr, sagte er, habe manche Stimme behauptet, „Herrn Putins Aggression sei ein meisterhaftes Beispiel von Strategie und Stärke. Nun, heute steht Amerika stark und mit seinen Verbündeten vereint da, und Russland ist isoliert, seine Wirtschaft ruiniert.“ Das stimmt, ändert aber nichts am Umstand, dass der Krieg in der Ostukraine nun so blutig wütet wie seit August nicht mehr.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.01.2015)