Die Boko Haram kündigt in einem Video neue Anschläge an. Die Nachbarländer wollen jetzt eine gemeinsame Kampftruppe bilden. Doch es fehlt an Ausrüstung, Know-how und Geld.
Wien/Abuja. Der Mann, der behauptet, Abubakar Shekau zu sein, präsentiert sich in Kampfanzug und schwarzer Kopfbedeckung. Vor dem Oberkörper prangt eine Kalaschnikow, hinter sich hat der Anführer der Terrorgruppe Boko Haram schwer bewaffnete Kämpfer und Geländewagen postiert. Immer wieder schaut er auf die Zettel in seiner Hand, um die Botschaft an Nigeria, die Nachbarstaaten, ja, die ganze Welt flüssig vorzutragen: Boko Haram ist für die blutigen Attacken auf die Stadt Baga und Umgebung im Norden verantwortlich – „und das ist nur die Spitze des Eisbergs, es wird mehr geben“.
Das Video, das am Dienstagabend ins Internet gestellt wurde, ist das Bekenntnis der Boko Haram zu den Massakern Anfang Jänner, die hunderte, womöglich bis zu 2000 Menschen das Leben gekostet haben. „Wir haben sie getötet, wie unser Gott es uns befohlen hat.“ Die Waffen, die die Gruppe beim Angriff auf eine Militärbasis erbeutet hat, „reichen aus, um ganz Nigeria zu zerstören“. Die Nachbarländer fordert er schließlich zum Angriff auf: „Ich bin bereit.“
Experten sehen in dem Video vor allem eine Machtdemonstration. Den Angriff auf Baga verstehe die Gruppe als Sieg. „Sie wollen dem Rest der Welt zeigen, dass sie den bisherigen Höhepunkt ihrer Stärke erreicht haben“, sagt Martin Ewi, der die Boko Haram seit Jahren für den Thinktank Institute for Strategic Studies (ISS) in Pretoria analysiert, der „Presse“.
Hintergrund der Angriffe, die Amnesty International als die „bisher größte und zerstörerischste Attacke“ der Boko Haram bezeichnete, ist laut Ewi aber kein verändertes Vorgehen oder eine neue Strategie. „Sie haben die Gelegenheit genutzt, die sich aus der Tatsache ergeben hat, dass sie keinen ernsthaften Widerstand von den nigerianischen Sicherheitskräften erfahren haben – so konnten die Angriffe überhaupt erst diese Dimension erreichen.“
Dass die Boko Haram sich in den vergangenen Jahren zu einer der gefährlichsten Terrorgruppen der Welt entwickelt hat, ist vor allem der Regierung in Abuja anzulasten. Sie hat die Islamisten über Jahre ignoriert. Gerade die Gegend im Nordosten des Landes an der Grenze zu Kamerun sei lange Zeit „unregiertes Gebiet“ gewesen, sagt Ewi. „Das hat der Gruppe Rückzugsräume verschafft.“ Erst jetzt, vor der Wahl am 14. Februar, hat das Thema oberste Priorität.
Hinzu kommen die weit verbreitete Korruption und der Umstand, dass Boko Haram seine Kämpfer teilweise besser versorgen soll als die nigerianische Armee ihre Soldaten. Das hat der Truppe Unterstützung verschafft und die Moral der Armee geschwächt. Nur so sei es zu erklären, dass das Militär der Boko Haram im eigenen Land nicht Herr werde, sagt Ewi. Denn: „Nigeria hat das größte Militär in Afrika und hat sich an vielen Friedensmissionen beteiligt – darin sind sie führend.“
Beratungen in Niger
Nach den verheerenden Ereignissen wird nun die lang gehegte Überlegung konkret, eine multinationale Truppe zu bilden, um Boko Haram zu bekämpfen. Am Dienstag berieten Vertreter der Nachbarstaaten darüber in Niger. Kamerun hat vor Monaten Truppen entsandt, die laut Präsident Paul Biya erst am Mittwoch einen Deutschen aus der Hand der Terrorgruppe befreit haben. Auch der Tschad schickte Truppen an die Grenzen.
Problem: Kaum eine Armee der Region ist für den Kampf gegen eine Terrorgruppe ausgerüstet und geschult. „Kamerun zum Beispiel ist das erste Mal mit einer solchen Krise konfrontiert“, sagt Ewi. Ohne ausreichende technische und finanzielle Hilfe sei das Projekt zum Scheitern verurteilt.
AUF EINEN BLICK
Die Terrorgruppe Boko Haram in Nigeria hat in einem Video die Verantwortung für die Angriffe auf die Stadt Baga und Umgebung übernommen, bei denen bis zu 2000 Menschen getötet wurden. Sie droht darin auch den Nachbarländern, die eine gemeinsame Einsatztruppe zum Kampf gegen die Islamisten erwägen.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.01.2015)