„Österreich kümmert sich um Kurden“

Selahattin Demirtaş
Selahattin Demirtaş(c) REUTERS (UMIT BEKTAS)
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Selahattin Demirtaş, Chef der links-kurdischen Partei HDP, bat Bundespräsident Fischer um Hilfe im Kampf gegen den IS und kündigte eine Rojava-Konferenz in Österreich an.

Wien. Die erste offizielle Auslandsreise hat Selahattin Demirtaş nach Wien geführt. In der Hofburg hat ihn Bundespräsident Heinz Fischer empfangen, dann traf Demirtaş mit Grünen-Chefin Eva Glawischnig, ÖVP-Obmann Reinhold Lopatka und SPÖ-Obmann Andreas Schieder zusammen. Demirtaş vertritt eine junge Partei: Die HDP (Demokratische Partei der Völker) ging vor rund zwei Jahren aus einer Fusion der Kurdenpartei BDP sowie kleineren Linksparteien hervor. Erst seit einem halben Jahr steht er der HDP vor (gemeinsam mit der Frauenrechtlerin Figen Yüksekdağ), aber ein Hoffnungsträger für die Linken in der Türkei ist Demirtaş jetzt schon. Unter seiner Führung soll sich die traditionell zersplitterte und zerstrittene Linke geschlossen der regierenden konservativ-islamischen AKP entgegenstellen.

Demirtaş hat in Wien Ziele und Ausrichtung seiner Partei vorgestellt, akuter waren jedoch das Thema Islamischer Staat (IS) und das de facto autonome Kurdengebiet Rojava in Syrien an der türkischen Grenze. „Österreich“, sagt Demirtaş, „kümmert sich um die Situation in Syrien und um die Kurden.“ Daher soll demnächst eine Rojava-Konferenz zur Lage der Kurden in der Region hier stattfinden. „Wir glauben, dass die Konferenz zu einer Lösung der Syrien-Frage beitragen kann“, sagt Demirtaş.

„Langer Krieg mit IS“

In den vergangenen Tagen seien die Kämpfer der Terrororganisation IS an den Rand der kurdisch-syrischen Enklave Kobane – die Islamisten versuchen seit Monaten, die Stadt einzunehmen – gedrängt worden. Die Kurden seien die Einzigen, die erfolgreich gegen den IS gekämpft haben, so Demirtaş, der selbst der Minderheit der Zaza-Kurden angehört. „Und es sieht so aus, als ob der Krieg mit dem IS noch lange andauern wird.“

Aber die Kurden nur als bewaffnete Kämpfer wahrzunehmen werde der Volksgruppe nicht gerecht. Ihr Beitrag für die Demokratiebildung in der Region müsse in Hinkunft ernsthafter diskutiert werden; das Projekt Rojava könne als Beispiel dafür dienen.

Was die Rolle der Kurden in der Türkei betrifft, scheinen die Aussichten derzeit nur grau zu sein. Offiziell führt Ankara die Friedensverhandlungen mit der verbotenen Untergrundorganisation PKK sowie deren inhaftiertem Chef, Abullah Öcalan, zwar weiter, aber die PKK bündle derzeit alle vorhandenen Kräfte, um gegen den IS zu kämpfen, so Demirtaş.

Ankara findet keinen Gefallen daran, dass die Kurden autonom eine Region an der türkischen Grenze kontrollieren; sollten die Kurden Rojava halten können, ist aber genau das ihr Ziel. Die laxe Haltung der türkischen Regierung den IS-Terroristen gegenüber und das Sperren der Grenzen für kurdische Kämpfer, die nach Kobane wollten, hat das mühsam stabilisierte Verhältnis zwischen Kurden und Türken schwer belastet. Dieser Dauerkonflikt wird sicherlich auch bei den Parlamentswahlen im Juni ein Thema sein.

Dabei will die HDP aus dem kurdischen Eck heraus, denn die Kurdenparteien haben in der Türkei traditionell das Image, nur politische Handlanger der extremistischen PKK zu sein. Bisher ist dieser „Ausbruch“ kaum einer Partei gelungen.

Die aktuelle HDP-Führung definiert sich jedenfalls als eine Partei für alle Minderheiten. So hat Demirtaş kürzlich in einem Fernsehinterview für Furore gesorgt, in dem er den Genozid an den Armeniern (1915/17) nicht nur anerkannt, sondern auch die Rolle der Kurden bei den Vertreibungen angesprochen hat. „Die armenische Frage ist keine leichte Frage in der türkischen Öffentlichkeit“, sagt Demirtaş, „wir wollen, dass das diskutiert wird.“ Nur durch die historische Auseinandersetzung könne dieses Trauma bewältigt werden: „Wir bringen das nicht zur Sprache, um die türkische Bevölkerung anzukreiden. Wir wollen ein besseres Verhältnis zu den Armeniern.“

Enttäuscht von Erdoğan

Ein Großteil der kurdischen Bevölkerung in der Türkei wird sich auch weiterhin besser in der Regierungspartei, AKP, aufgehoben fühlen, zumal viele von ihnen konservativ eingestellte, sunnitische Muslime sind. Türkischen Medienberichten zufolge dürfte sich aber die passive bis ablehnende Haltung Ankaras zu Kobane auch auf die Stimmen auswirken. Viele Kurden haben sich enttäuscht von Präsident Recep Tayyip Erdoğan gezeigt, der sich den Kurden bisher oft als Versteher ihrer Belange präsentiert hat.

Für die Wahlen im Frühsommer hat Demirtaş ein explizites Ziel: Die HDP soll über die Zehn-Prozent-Sperrklausel kommen. Die Partei, der sich auch viele Protestgruppen rund um den Istanbuler Gezi-Park sowie Homosexuellen-Organisationen angeschlossen haben, wird landesweit antreten.

AUF EINEN BLICK

Selahattin Demirtaş. Der Jurist steht seit einem halben Jahr der Demokratischen Partei der Völker (HDP) vor, die vor rund zwei Jahren mit der Fusion der Kurdenpartei und kleinen linken Parteien gegründet wurde. Demirtaş will die HDP in der türkischen Öffentlichkeit als reine Kurdenpartei ändern und alle ethnischen und religiösen Minderheiten sowie die Linken ansprechen. Die erste offizielle Auslandsreise des Politikers hat ihn am Mittwoch nach Wien geführt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.01.2015)

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