Krisengipfel: "Aktive" Gespräche in Minsk

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BELARUS UKRAINE PEACE TALKS(c) APA/EPA/TATYANA ZENKOVICH (TATYANA ZENKOVICH)
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Die Präsidenten Russlands, der Ukraine, Frankreichs und Deutschlands starteten in Minsk einen neuen Anlauf, um den Krieg im Donbass zu beenden. Es sollte zumindest gemeinsame Erklärungen geben.

Minsk/Wien. In einer Bushaltestelle in Donezk schlug eine Granate ein, um die strategisch bedeutsame Stadt Debaltsewo tobte eine Schlacht mit dutzenden Opfern: Das Sterben in der ukrainischen Krisenregion Donbass ging am Mittwoch zunächst weiter, während in Minsk um einen Friedensschluss gerungen wurde. Der Krisengipfel mit den Staatschefs der Ukraine (Petro Poroschenko), Russlands (Wladimir Putin) und Frankreichs (François Hollande) sowie der deutschen Kanzlerin Angela Merkel war am frühen Abend im Palast der Unabhängigkeit gestartet.

Abwechselnd wurde unter acht Augen und unter Einbeziehung der Delegationen verhandelt.
Deutschland und Frankreich hatten auf das Treffen gedrängt, um die blutigen Kämpfe in der Ostukraine mit mehr als 5400 Toten zu stoppen. Die Teilnehmer des Gipfels planten danach zumindest eine gemeinsame Erklärung, in der die territoriale Integrität und Souveränität der Ukraine unterstützt werden soll. Das erklärte ein ukrainisches Delegationsmitglied der Nachrichtenagentur Reuters. Eine Bestätigung dafür gab es zunächst nicht. Russland hatte auch bisher mit Blick auf den Donbass offiziell weder Integrität noch Souveränität der Ukraine in Frage gestellt. Das Delegationsmitglied behauptete zudem, die Ukraine-Kontaktgruppe (OSZE, Russland, Ukraine, Separatisten) würde sich erneut zu dem im September 2014 paktierten Friedensplan verpflichten. Schon damals waren in Minsk Abkommen zur Beilegung des Ukraine-Konflikts ausverhandelt worden. Doch Minsk I war zuletzt mausetot.

Poroschenko droht mit Kriegsrecht

Seit Tagen war die Drohkulisse für den Krisengipfel aufgebaut worden. Der ukrainische Präsident etwa dachte gestern Vormittag laut über die Verhängung des Kriegsrechts im ganzen Land nach. „Entweder wird ein Pfad Richtung Waffenruhe und Entspannung eingeschlagen oder die Lage gerät außer Kontrolle“, sagte Poroschenko auch nach seiner Ankunft in Minsk. US-Präsident Barack Obama hatte schon davor erklärt, im Fall eines Scheiterns der Verhandlungen erwäge er Waffenlieferungen an die Ukraine. Auch die EU zeigte Krallen und erweiterte die Sanktionsliste, die am Montag im Falle eines Scheiterns der Verhandlungen in Kraft träte.

Paris und Berlin dämpften zudem vor dem Gipfel die Erwartungen. Als einen „Hoffnungsschimmer, aber nicht mehr“ bezeichnete Merkels Sprecher die Tatsache, dass die Kanzlerin überhaupt nach Minsk reise. Doch unmittelbar vor Beginn des Treffens verdichteten sich die Anzeichen auf eine umfassende Einigung. Die Separatistenführer Alexander Sachartschenko und Igor Plotnizkij trafen in der weißrussischen Hauptstadt ein. Sollte es zu einem Verhandlungserfolg kommen, seien die beiden zur Unterschrift eines Abkommens bereit, sagte ein Separatistensprecher. Und Russlands Außenminister Sergej Lawrow bezeichnete die Gespräche nach den ersten vier Verhandlungsstunden als „aktiv“, dies bedeute „besser als super“.

Doch eine der Lehren aus Minsk I lautet: Papier ist geduldig. Bisher hakte es immer an der Umsetzung einer Einigung. Und es gibt weitere Fallstricke: Die Separatisten sollen seit September mindestens 500 Quadratkilometer an Terrain erobert haben. Bisher bestanden sie (mit Unterstützung des Kremls) darauf, dass die neue Front auch als Demarkationslinie anerkannt wird. Damit würden jedoch die Gebietsgewinne der Rebellen und somit auch der Bruch der Minsker Abkommen nachträglich abgesichert.
In den Dokumenten sind alle Konfliktparteien nicht nur zur Waffenruhe verpflichtet, sondern jegliche Veränderung der Frontlinien sowie offensive Handlungen ausdrücklich untersagt worden. Daran gehalten hatte sich bisher niemand.

Die Vereinbarungen wurden nahezu vollständig torpediert: Statt Wahlen nach ukrainischem Recht hielten die Separatisten in ihren sogenannten Volksrepubliken Donezk und Luhansk Parlaments- und Präsidentenwahlen ab. Der Waffenstillstand war von Anfang an brüchig und dann Makulatur. Ein vereinbarter nationaler Dialog fand genauso wenig statt wie ein ernsthaftes Monitoring der russisch-ukrainischen Grenze durch die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit (OSZE). Dieser Punkt 4 des alten Abkommens ist für die Ukraine aber eine rote Linie: Die Grenze zu Russland muss dichtgemacht werden, um den Waffennachschub zu unterbinden. Erst im Jänner sollen T80-Panzer über die 400 Kilometer lange unbefestigte Grenze gerollt sein – die nur durch zwei OSZE-Kontrollpöstchen kontrolliert wird. Das ist nicht mehr als Symbolik.

„Unrealistische Forderung“

Der russische Außenminister Lawrow nannte die Forderung Kiews nach der Kontrolle der Grenze zuletzt „unrealistisch“. Spitzfindig stellte sich Moskau bisher auf den Standpunkt, Kiew soll über die Sicherung seiner Grenze doch mit den Separatisten reden. Das will Kiew um jeden Preis verhindern. Es würde damit die Anführer der „Volksrepubliken“ indirekt anerkennen. (red./ag.)

(strei/ag.)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.02.2015)

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