Erste Boko-Haram-Attacke im Tschad

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Die nigerianische Terrorgruppe Boko Haram greift zunehmend Nachbarländer an. Die Krise droht sich zu einem regionalen Konflikt auszuwachsen.

Wien/Abuja. Wenige Tage nach mehreren tödlichen Angriffen im Niger hat die nigerianische Terrorgruppe Boko Haram erstmals auch eine Ortschaft im Tschad attackiert. Nach Augenzeugenberichten überquerten Dutzende Kämpfer der Gruppe in Booten den Tschadsee und fielen in das Dorf Ngouboua ein, das sich etwa 20 Kilometer östlich der nigerianischen Grenze befindet. Die Islamisten setzten Häuser in Brand, griffen eine Polizeistation an und töteten etwa zehn Menschen, bevor sie von der Armee zurückgedrängt wurden.

Diese Ausweitung ist neu: Bisher hatten die Milizen nur Ziele in Nigeria selbst und im Nachbarland Kamerun ins Visier genommen. Die Krise im Nordosten Nigerias droht sich nun zu einem regionalen Konflikt auszuwachsen.

Experten sehen in den Angriffen zunächst eine Reaktion auf das militärische Vorgehen dieser Länder. „Vergeltung ist ein integraler Bestandteil von Boko Harams Strategie“, sagt Martin Ewi vom afrikanischen Institute for Security Studies (ISS). Vor zwei Wochen hatten die Staaten der Region eine 8700 Mann starke Truppe beschlossen, die Boko Haram bekämpfen soll; sowohl Tschad als auch Niger beteiligen sich aktiv.

Die Gruppe erweitert ihre Ziele rasch. Ewi geht davon aus, dass Boko Haram, die ein islamisches Kalifat in Nigeria anstrebt, auch eine Agenda für die Nachbarländer entwickeln wird. Zudem orientiert sie sich an anderen Terrorgruppen wie al-Qaida, al-Shabaab oder dem Islamischen Staat (IS), die alle grenzüberschreitend agieren.

Lebende Bomben

Inspiriert von diesen Vorbildern hat die Boko Haram etwa Selbstmordattentate zu einem zentralen Bestandteil ihrer Strategie gemacht, wie eine Aufstellung des ISS dokumentiert: Griff die Gruppe anfangs noch mit leichten Waffen an, sprengte sich 2011 zum ersten Mal ein Attentäter in ihrem Namen in die Luft, insgesamt kam es zu vier Selbstmordanschlägen im ganzen Jahr. 2012 stieg die Zahl auf 29, ein Jahr später waren es bereits 54, im vergangenen Jahr 85. Und: 2015 dürfte die bisherige Spitze weit übersteigen. Bis zu dieser Woche wurden 25 Selbstmordattentate gezählt, teils von Kindern verübt, die nicht älter waren als zehn Jahre.

Die Kurve der Opferzahlen verläuft dramatisch: 2010 tötete die Gruppe 75 Menschen – bis Ende 2014 kamen durch den Terror laut ISS 13.000 Menschen ums Leben.
Es sind Zahlen wie diese, die zusammen mit zigtausenden Flüchtlingen die Nachbarstaaten auf den Plan gerufen haben. Nigerias Regierung, die jahrelang nichts gegen den Terror ausrichten konnte, hofft jetzt auf ein rasches Ende der Terrorgruppe. Bis zu den Wahlen Ende März werde Boko Haram Geschichte sein, äußerte sich hoffnungsfroh der Nationale Sicherheitsberater von Präsident Goodluck Jonathan, Sambo Dasuki. Doch schon gibt es Ärger bei den Verbündeten. Nigers Verteidigungsministerium beschrieb die nigerianischen Soldaten jüngst als „Feiglinge“ – „unsere Soldaten rennen nicht davon“.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.02.2015)

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