Frankreichs Juden in Angst

Jüdische Gegend in Paris
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Antisemitische Übergriffe eskalieren in jüngster Zeit vor allem in Frankreich. Eine Haupttriebkraft dahinter ist Rache: Vor allem Islamisten wollen so die Leiden der Palästinenser vergelten.

Kein Monat vergeht in Frankreich ohne erschreckende Übergriffe auf Juden und ihren Alltag. Es vergeht auch keine Woche ohne beschwörende Äußerungen der Politiker: Sie rufen das Land händeringend auf, sich vereint dem Antisemitismus entgegenzustellen - es müsse ein "Ruck" durch die Nation gehen. Unter den Juden wachsen unterdessen die Angst und der Wunsch, nach Israel auszuwandern.

Immer wieder lockt auch Israels Regierungschef Benjamin Netanyahu sie an: Nach jedem größeren Zwischenfall lädt er sie ein, Frankreich nun den Rücken zu kehren. Das akzeptiert Staatschef Francois Hollande nicht.

"Nein zum Antisemitismus, dem Krebs unserer Gesellschaft." So hieß es im Dezember als Antwort auf den "Horror von Creteil": Vermummte und bewaffnete Männer hatten in dem Pariser Vorort bewusst ein jüdisches Paar tyrannisiert und ausgeraubt. Die Frau wurde vergewaltigt. Schon damals versprach Innenminister Bernard Cazeneuve, den Kampf gegen den Rassismus und Antisemitismus zur "nationalen Sache" zu machen und die Juden zu schützen.

Friedhof geschändet

Dann waren Anfang Jänner bei der islamistischen Anschlagsserie in Paris vier Juden in einem Geschäft für koschere Lebensmittel ermordet worden. Und jetzt, fast zeitgleich mit den Attacken in Kopenhagen verwüsten Unbekannte mehrere Hunderte jüdische Gräber auf dem elsässischen Friedhof von Sarre-Union. Wieder ist das Entsetzen groß - unter den Juden und auch bei den Politikern.

Antisemitismus, offener und unterschwelliger, hat in Frankreich eine lange Tradition. Im Land lebt mit über 500.000 Menschen die größte jüdische Gemeinde Europas. "Die Juden haben ihren Platz in Europa und in Frankreich im besonderen", stellt Hollande dem neuerlichen Werben Netanyahus entgegen. Am Dienstag will er den geschändeten Friedhof von Sarre-Union besuchen. "Frankreich will nicht euren Fortzug", so Regierungschef Manuel Valls an die Adresse der Juden. Die politische Klasse verurteilte einhellig und eindeutig den Vandalismus im Elsass - auch Marine Le Pen von der rechtsextremen Front National tat dies.

Gazakrieg treibt muslimische Gewalt an

Die trockene Statistik weist auf einen "neuen Antisemitismus" hin. Die Flut von Attacken auf Juden hat sich 2014 mehr als verdoppelt. Besonders dramatisch zugenommen haben dabei gewalttätige Übergriffe. Israels Gaza-Krieg im Sommer 2014 hat vor allem Muslime empört.

Die Bilder von Tod und Verderben der Palästinenser gelten als eine Triebkraft für antisemitische Attacken: Bei propalästinensischen Kundgebungen sind Synagogen das Ziel von Gewalt. Großrabbiner Haim Korsia sah bei solchen Aktionen im Land auch islamische Hassprediger als Antreiber. Andere vermuteten Extremisten von rechts und links am Werk, die mit Islamisten gemeinsame Sache gegen Juden machen.

Mit mehr als 6000 emigrierten Juden lag Frankreich 2014 erstmals an der Spitze der Länder, aus denen nach Israel ausgewandert wird. Übergriffe und Attacken auf sie gab es in dem Jahr überwiegend in Städten wie Paris, Marseille, Lyon, Toulouse, Straßburg und Nizza. Mittlerweile schützt Militär Tausende jüdische Einrichtungen im Land.

"Die jüdischen Gemeinden (in Europa) stehen vor einem existenziellen Dilemma", schrieb ein Kommentator der israelischen Zeitung "Haaretz" am Montag. "Kann man in einer Realität der ständigen Bedrohung weiter ein offenes und freies jüdisches Leben führen?"

"Jüdisches Leben in Deutschland möglich"

Ja, sagt dazu der Zentralrat der Juden in Deutschland. Allerdings sollten die Sicherheitsvorkehrungen zum Schutz jüdischer Einrichtungen nochmals kritisch überprüft werden, forderte am Montag Zentralratspräsident Josef Schuster: "Unter dieser Voraussetzung ist jüdisches Leben auch in Deutschland weiterhin möglich."

Ähnlich äußerte sich Dänemarks Oberrabbiner Yair Melchior. Juden könnten nach Israel auswandern, weil sie den jüdischen Staat liebten, "aber nicht, weil sie Angst haben, in Dänemark zu leben". Im israelischen Rundfunk sagte er: "Wir lassen uns nicht von Terroristen dazu zwingen, unser tägliches Leben zu ändern, in Angst zu leben und an andere Orte zu fliehen."

Auch der "Haaretz"-Kommentator kritisierte Netanyahus Aufruf an die Juden Europas, in den jüdischen Staat auszuwandern. Die Anschläge in Dänemark seien Angriffe eines dänischen Staatsbürgers auf andere dänische Staatsbürger. Eine Verbindung zu Israel sieht er nicht. Das meinen in Frankreich auch Präsident Hollande und Premier Valls, wenn sie die Juden zum Bleiben auffordern. (dpa)

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