Das offene Tor zur libyschen Hölle

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Nach der Enthauptung von 21 koptischen Gastarbeitern in Libyen antwortete die ägyptische Armee mit Luftangriffen auf Libyen. Genau diese Eskalation dürften die IS-Terroristen bezweckt haben.

Kairo. Die Antwort aus Ägyptens kam prompt und ohne große Diskussion. Am Montagmorgen flogen ägyptische Militärflugzeuge Einsätze gegen mutmaßliche Stellungen der Terrorgruppe IS in Libyen. Dabei ging es auch darum, die aufgebrachte öffentliche Meinung in Ägypten zu beruhigen, nachdem am Abend zuvor von einer IS-Gruppe ein grausames Video im Internet gepostet worden war. Es zeigt, wie 21 ägyptisch-koptische Arbeiter in orangefarbenen Anzügen von schwarz gekleideten IS-Kämpfern an einem Strand enthauptet werden. Die Kamera hält dabei am Ende auf die Brandung, die sich blutrot färbt. „Eine Botschaft, gezeichnet mit Blut an die Nation des Kreuzes“, lautet der Videotext.

Die ägyptischen christlichen Gastarbeiter sind um den Jahreswechsel gezielt in der libyschen Hafenstadt Sirte verschleppt worden. Sie stammen großteils aus dem armen Oberägypten und haben es vorgezogen, im chaotischen und gefährlichen Libyen zu leben, weil sie dort auf Jobs hofften.

Es war nicht das erste Mal, dass ägyptische Jets Stellungen in Libyen bombardiert haben, aber es war das erste Mal, dass Ägypten das offen zugegeben hat. Die Regierung von Präsident Abdel Fatah al-Sisi versucht schon seit Monaten, die Machtverhältnisse in Libyen in ihrem Sinn zu verschieben.

Die libysche Gemengelage ist kompliziert – ein wirres Mosaik aus Parteien, Ideologien und Stammesloyalitäten. Vereinfacht gesprochen stehen einander zwei Lager gegenüber. Auf der einen Seite die Säkularisten, militärisch angeführt von General Haftar, einem Günstling Ägyptens. Er gilt als Beschützer der international anerkannten Regierung in Tobruk und sieht sich selbst als eine Art libyschen al-Sisi. Haftar kontrolliert Teile von Libyens Osten. Auf der anderen Seite steht ein Konglomerat islamischer Milizen und Politiker, die Tripolis und das dortige Parlament beherrschen.

Unversöhnlichkeit ist das Gebot der Stunde. Die Islamisten werfen der Gegenseite vor, das System des gestürzten Diktators Gaddafi durch die Hintertür wieder einführen zu wollen. General Haftar und die Seinen indes wollen am liebsten alle Islamisten ausmerzen: von moderaten Muslimbrüdern bis hin zu radikalen Militanten. Es ist ein gnadenloser Kampf um Macht und Ressourcen, in dem bisher keine der beiden Seiten die militärische Oberhand gewinnen konnte.

Terror-Aufmarschgebiet vor Europa

Die politische Landschaft Libyens hat sich atomisiert. Im Vakuum, das so entstanden ist, können radikale Organisationen im Namen des IS mittlerweile ungehindert operieren. Das Mittelmeerland, nur ein paar hundert Seemeilen von Europa entfernt, ist zum Aufmarschgebiet für Jihadisten geworden. Der IS und andere Gruppen unterhalten in Libyen Lager, in denen sie Kämpfer für Syrien und den Irak ausbilden.

Die prekäre Sicherheitslage strahlt auch auf Ägypten aus. Die libyschen Extremisten haben Verbindungen zu Gruppen im Nordsinai, die vor drei Monaten erst dem „Kalifen“ des IS, Abu Bakr al-Baghdadi, die Treue geschworen haben. Kairo führt seit Längerem, von der Weltöffentlichkeit unbemerkt, einen Kleinkrieg auf der ägyptischen Halbinsel.

Ägyptische Pufferzone rund um Derna?

Ob Ägyptens Luftangriffe den Beginn einer umfassenden Militärintervention in Libyen markieren, lässt al-Sisis Armee offen. Sie hätte nun die Möglichkeit, General Haftar direkter als bisher zu unterstützen. Es heißt, die ägyptische Armee könnte jenseits der Grenze eine Pufferzone errichten und dabei die Stadt Derna, eine Hochburg des IS, im Osten erobern. Ägypten könnte Haftar auch helfen, die Kontrolle über Bengasi zu erlangen.

Doch die Stärke der islamistischen Milizen auch im Osten des Landes ist nicht zu unterschätzen. Auch wenn sich durch eine ägyptische Intervention kurzfristig die Machtverhältnisse verschöben, die Folge wäre vermutlich ein langer Guerillakrieg, in dem die Jihadisten gegen die „ausländischen Invasoren“ möglicherweise noch Zulauf bekommen und in dem sie auch nicht vor der porösen ägyptischen Grenze haltmachen würden. Genau diese Eskalation könnte der IS mit der Enthauptung der 21 Kopten bezweckt haben.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.02.2015)

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