Ukraine: Juschtschenkos Ende vorverlegt

(c) AP (Mykola Lazarenko)
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Flucht nach vorne inmitten des Chaos: Das Parlament kommt seiner eigenen Auflösung zuvor und zieht in einer Blitzaktion die Präsidentenwahl auf Oktober vor.

MOSKAU/KIEW. Wo die politische Situation von ihren eigenen Repräsentanten bereits auf die Metapher der Pathologie übertragen wird, werden Wahlen zur Patentmedizin. „Je früher in der Ukraine Präsidentschaftswahlen stattfinden, umso schneller wird sie politisch genesen“, sagte Premierministerin Julia Timoschenko vor einem Monat. Nun ist das Rezept ausgestellt. Bereits am 25.Oktober soll die Ukraine, die seit Herbst am Rande des Staatsbankrotts steht, den Präsidenten wählen.

In einer Blitzaktion hat das gewöhnlich nicht mehrheitsfähige Parlament am Mittwoch dafür gestimmt. Das Votum fiel überwältigend aus: 401 der 450 Abgeordneten stimmten für den vorgezogenen Wahltermin im Oktober. Damit wird die Konfrontation nur noch weiter angeheizt.

Präsident Viktor Juschtschenko nämlich hatte auf der Wahl im Jänner 2010 nach Ablauf seiner regulären fünfjährigen Amtszeit bestanden. Weil er aber am Dienstag dem Parlament in Kiew den Vorschlag einer dringenden Verfassungsänderung auftischte und sich die Informationen verdichteten, dass er die Auflösung des Parlaments vorbereite, traten die verschreckten Parlamentarier die Flucht nach vorne an.

Schon am Dienstag hatten die Abgeordneten Juschtschenkos Jahresbotschaft vor dem Parlament mit vernichtender Kritik quittiert und damit angedeutet, dass sein politisches Ende im Oktober besiegelt sein dürfte. Nicht ein einziges der Hauptziele seit der orangen Revolution habe er umgesetzt, meinte die oppositionelle und stimmenstärkste „Partei der Regionen“ aus dem russischsprachigen Osten.

Wirtschaftlicher Einbruch

Überhaupt brachte Juschtschenkos Rede das ganze Ausmaß der politischen Instabilität und wirtschaftlichen Katastrophe ans Licht. Die Wirtschaft, für die Timoschenko verantwortlich zeichne, sei in den ersten beiden Monaten gegenüber 2008 um 25 bis 30Prozent eingebrochen, sagte der Präsident. „Ein wirtschaftlicher Niedergang und umfangreiche soziale Proteste“ könnten die Folgen sein.

Weil Kiew den Forderungen des Internationalen Währungsfonds nach einer strafferen Haushaltsführung nur schleppend nachkommt, hält der IWF die Auszahlung der zweiten Tranche seiner 16,4 Milliarden Dollar schweren Kredithilfe gegen den Staatsbankrott zurück. Auch Russland, wo Timoschenko angefragt hatte, will mit keinem Notkredit aushelfen, nachdem es von der Einigung zwischen der EU und Kiew über die Erneuerung des ukrainischen Gaspipelinenetzes ausgeschlossen worden war, hat Präsident Dmitrij Medwedjew wissen lassen.

Am Ende ist nicht ausgeschlossen, dass Timoschenko das Ruder doch wieder herumreißt, wie schon bei der Lösung des Gasstreites mit Moskau zu Beginn des Jahres. Auch sie braucht neue Erfolge, nachdem auch sie im Laufe der Wirtschaftskrise Popularität eingebüßt hat. Das zeigt zuletzt der Verlust einer Hochburg bei Regionalwahlen in der Westukraine.

Senator für immer?

Demgegenüber sitzt Oppositionschef Viktor Janukowitsch, den die orangen Revolutionäre 2004 niedergerungen hatten, in der Ostukraine fest im Sattel. Timoschenko und Janukowitsch dürften gegen Juschtschenko ins Rennen gehen. Und auch der junge Ex-Parlamentspräsident, Arsenij Jazenjuk, der in der Bevölkerung sehr populär ist, könnte ins Rennen um das Präsidentenamt einsteigen.

Juschtschenko bereitet sich bereits auf eine möglichst weiche Landung vor: Teil seines gescheiterten Verfassungsprojektes war es, ein Zwei-Kammer-Parlament einzurichten, in dessen obere Kammer die früheren Staatspräsidenten als Senatoren auf Lebenszeit einziehen sollen.

AUF EINEN BLICK

Statt am 17.Jänner 2010, wie es regulär wäre, beschloss das Parlament in Kiew, bereits am 25.Oktober Präsidentenwahlen durchzuführen. Die voraussichtlichen Hauptkonkurrenten: Amtsinhaber V. Juschtschenko, Regierungschefin J. Timoschenko, Oppositionschef V. Janukowitsch und der populäre Ex-Parlamentspräsident Arsenij Jazenjuk.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.04.2009)

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