Ägypten: "Glaube nicht mehr an den Arabischen Frühling"

(c) Stanislav Jenis
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Amani Eltunsi ist eine von vier Aktivistinnen, die im Film „Private Revolutions“ porträtiert werden. 2011 nahm sie am Protest auf dem Tahrir-Platz teil. Mit der „Presse“ spricht sie über Frauenrechte und ihr Resümee der Revolution.

Die Presse: Im Film „Private Revolutions“ erzählen Sie, wie Ihnen einst die Staatssicherheit gesagt hat, dass Sie auf Ihrem Radiosender nicht über Sex, Religion und Politik sprechen sollen. Hat sich seither etwas verändert?

Amani Eltunsi: Ich brauche nicht über diese Dinge zu sprechen. Wir müssen an uns selbst arbeiten und uns als Personen weiterentwickeln, um unsere Gesellschaft verändern zu können. Über Politik zu reden, ist nicht alles.

Als ich 2011 für „Die Presse“ vom Aufstand auf dem Tahrir-Platz berichtete, war ich beeindruckt vom positiven Geist, der dort vorherrschte. Menschen mit unterschiedlicher Ideologie und aus verschiedenen sozialen Schichten haben zusammengearbeitet für ein gemeinsames Ziel: den Sturz des Regimes. Was ist mit diesem Geist passiert?

Damals standen alle zusammen. Aber das ist zerbrochen. Dieser Geist ist verschwunden. Wir hatten 2011 viele hohe Erwartungen. Seither haben wir vier Jahre lang unter Instabilität und Unsicherheit auf den Straßen gelitten. Doch jetzt fühlen wir uns wieder sicher.

Was hat sich im Vergleich zu den vergangenen Jahren hinsichtlich der Lage der Frauen geändert?

Vor 2011 war die Lage bezüglich der Frauenrechte besser als danach. Suzanne Mubarak, die Frau des damaligen Präsidenten, setzte sich dafür ein, dass die ägyptischen Frauen viele Rechte bekamen. Nach 2011 wollten dann die islamistischen Kräfte in der Periode, in der sie an der Macht waren, alle diese Rechte wieder aufheben.

Aber ein wichtiger Teil der Tahrir-Revolution war doch, Mubarak und seine Frau loszuwerden. Wie passt das zusammen?

Niemand hat nur negative Seiten. Ich rede hier über Frauenrechte. Da hat Suzanne Mubarak viel getan und das islamistische Parlament hat später versucht, das wieder rückgängig zu machen.

Wo liegen die Herausforderungen im Kampf um Frauenrechte?

Unter dem Dach Girls Only betreue ich viele Projekte: die Girls Only Radiostation, die online sendet. Dazu kommen ein Verlagshaus, über das weibliche Autoren ihre Bücher veröffentlichen können, das Printmagazin „Ladies First“ und ein Rehabilitationszentrum für junge Frauen. Ich helfe außerhalb des Feldes Politik, denn ich muss erst mich selbst ändern, bevor ich eine Veränderung der Gesellschaft fordern kann. Wenn wir bereit sind, die anderen zu verstehen, dann werden wir die Freiheit erhalten, von der die Menschen träumen.

Wie sieht Ihr Resümee des Arabischen Frühlings von 2011 aus?

Ich bin so wie viele andere 2011 auf den Tahrir-Platz gegangen, weil ich wollte, dass mein Land ein besseres Land wird. Aber nach dem Rücktritt Mubaraks habe ich meine Meinung geändert. Ich glaube nicht mehr an den sogenannten Arabischen Frühling. Und noch etwas zur Lage in der Region: Alle Ausländer schauen jetzt auf die Extremisten des sogenannten Islamischen Staates (IS) und glauben, darin den Islam zu sehen. Aber IS ist sehr weit weg vom Islam. Ich bin eine Muslima. Islam bedeutet Frieden. Es geht nicht darum, Menschen zu töten, wie zuletzt in Paris.

AUF EINEN BLICK

Der Film „Private Revolutions“ der Regisseurin Alexandra Schneider porträtiert vier ägyptische Frauen rund um den Aufstand gegen Mubarak 2011 und in den Jahren danach. Er läuft in ausgewählten Kinos. Nach Mubaraks Abgang übernahm das Militär die Kontrolle. Bei den ersten Wahlen siegte die Muslimbruderschaft.Doch 2013 wurde der islamistische Präsident Mursimithilfe des Militärs wieder gestürzt.

www.privaterevolutions-film.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.03.2015)

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