Nigeria: Boko Haram auf Frauen-Raubzug

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Die islamistische Terrorgruppe Boko Haram soll bis zu 500 Frauen und Kinder aus der Stadt Damasak gekidnappt haben. Die Regierung schweigt, denn am Samstag finden Wahlen statt.

Kapstadt. Die Schilderungen des nigerianischen Beamten Usmanu Yusuf schockieren. Rund 350 Frauen und Kinder seien von der Terrororganisation Boko Haram in Pick-up-Trucks in der Stadt Damasak entführt worden, berichtete er. „Junge und fitte Männer und Frauen hatten Glück, sie konnten vor Boko Haram fliehen.“ Die Älteren sowie viele Frauen und Kinder hätten dagegen keine Chance gehabt. „Sie haben sie getötet und andere mitgenommen.“

Yusuf sprach gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters per Telefon von der Großstadt Maiduguri aus. Sie ist 160 Kilometer von Damasak entfernt. Es blieb unklar, ob sich seine Angaben auf Augenzeugenberichte oder die Armee stützten, Letztere hat bisher keine Stellungnahme verbreitet. Die Stadt war Mitte März befreit worden, nachdem sie über Monate hinweg in der Hand der Terroristen gewesen war.

Versklavt und zwangsverheiratet

Reuters zitierte aber auch den Händler Souleymane Ali aus Damasak. Er sprach sogar von 506 entführten Frauen und Kindern. „Sie haben ungefähr 50 von ihnen getötet, bevor sie flüchteten“, sagte er, „wir wissen nicht, ob die anderen noch leben, aber sie haben alle mitgenommen.“ Unter ihnen seien auch seine Frau und drei seiner Töchter gewesen. Boko Haram habe sie als Sklaven gehalten und wolle zwei von ihnen in diesem Jahr an Kämpfer zwangsverheiraten. Mohamed Ousmane, ein weiterer Händler aus Damasak, berichtete, die Miliz habe seine beiden Ehefrauen und drei Kinder mitgenommen.

Truppen aus dem Niger und dem Tschad, die für die Rückeroberung der Stadt verantwortlich waren, hatten in der vergangenen Woche mindestens 70 Leichen unter einer Brücke gefunden, Zeugnis einer grausamen Hinrichtung. Die Stadt ist wie die meisten befreiten Gebiete fast ausgestorben. Viele sind getötet worden, viele flüchteten. Insgesamt 1,5 Millionen Nigerianer mussten wegen der Terroristen ihre Häuser verlassen – sie zogen in Flüchtlingslager, friedlichere Gegenden oder über die Grenzen in Nachbarländer wie Kamerun oder den Tschad.

Eine Registrierung dieser Massen ist kaum möglich, Einzelschicksale wie die der Menschen von Damasak kaum nachzuforschen. Und nur wenige kehrten bisher in ihre Heimatorte zurück. Die Offensive der Armeen des Tschad und Niger ist im aktuellen Umfang kaum aufrecht zu erhalten. Boko Haram, so fürchten die Anwohner, werde zurückkehren, sobald die Truppenstärke der beteiligten Armeen reduziert wird.

Rückschlag für Goodluck Jonathan

Für Präsident Goodluck Jonathan bedeutet die Nachricht wenige Tage vor den Wahlen am Samstag einen herben Rückschlag. Sein Gegenkandidat Muhammadu Buhari, in den Achtzigerjahren als Militärherrscher schon einmal Präsident Nigerias, setzte in seinem Wahlkampf auf seine Reputation als Hardliner im Kampf gegen Aufständische. Mit Erfolg. Laut Umfragen ist er auf Augenhöhe mit Jonathan.

Wegen Boko Haram war der Termin für den Urnengang bereits um sechs Wochen verschoben worden. Seitdem hatte Boko Haram erhebliche Verluste hinnehmen müssen, was in erster Linie auf die Beteiligung von Truppen aus dem Tschad und Niger zurückzuführen ist. Jonathan nutzte die Erfolge jedoch für Propaganda in eigener Sache. Unter seiner Führung sei es gelungen, Boko Haram seit Beginn des Jahres aus 17 von 20 Regierungsbezirken zurückzudrängen, in denen Boko Haram aktiv war. Die Terrororganisation stehe kurz vor der Niederlage.

Symbol für Versagen der Regierung

Die logistisch aufwendige Entführung hunderter Frauen und Kinder will da nicht recht in dieses selbstgemalte Bild passen. Zumal weiterhin mehr als 200 Schulmädchen aus Chibok vermisst werden, die vor nunmehr fast einem Jahr in die Fänge von Boko Haram gerieten. Die erfolglose Suche nach ihnen wurde zum Symbol für das Versagen der Regierung im Kampf gegen den Terrorismus im Nordosten des Landes. Schon im Dezember waren 172 Frauen und Kinder nach Angaben von Anwohnern aus dem Dorf Gumsuri entführt worden. Auch über ihr Schicksal schweigt sich die Regierung aus.

Wie brutal Boko Haram die Bevölkerung auch im Rückzug terrorisiert, davon berichteten am Mittwoch auch Augenzeugen gegenüber der Nachrichtenagentur AFP. Demnach hätten Kämpfer der Miliz in der Stadt Bama Dutzende Frauen getötet, die sie nach der Eroberung der Stadt im vergangenen September zur Heirat gezwungen hatten. Die Islamisten hätten ihre Niederlage gegen Regierungstruppen Anfang März absehen können, berichtete Sharifatu Bakura, eine Mutter von drei Kindern. „Sie wollten verhindern, dass ihre Frauen Ungläubige heiraten.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.03.2015)

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