Palästinenser: Mit den Waffen der Musik

(c) Die Presse (Susanne Knaul)
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Wafa Younis, eine arabisch-israelische Orchester-Leiterin, wollte durch ein Konzert versöhnen. Dafür wurde sie von den al-AqsaBrigaden bestraft. Nun ruht ihre Hoffnung auf Palästinenser-Präsident Abbas.

Eine Minigitarre aus Plastik ist ihr erstes Musikinstrument. Die kleine Wafa Younis geht an der Hand ihrer Mutter in das Spielwarengeschäft und sucht sich das Ding mit den klirrenden Saiten aus. Ganze Nachmittage verbringt sie damit, erfindet immer neue Melodien. Jahre später nimmt sie Stunden bei einem Geigenlehrer, den die Eltern eigens ins Dorf Ara in Galiläa holen. Nach der Matura geht das Mädchen für ein Jahr zum Musikstudium nach Haifa. Mehr braucht es nicht, um sie zur staatlich anerkannten Musikpädagogin werden zu lassen.

„Ich war mit 18 die jüngste Lehrerin“, sagt sie stolz, „aber eigentlich war das nichts für mich. Da laufen 40 johlende Kinder herum, und ich stehe da mit meiner Geige und versuche, denen ein Lied beizubringen.“ Inzwischen ist Wafa, 54, wegen eines Unfalls seit sechs Jahren pensioniert – und glücklich, dass sie das tun konnte, was sie sich schon immer gewünscht hatte: ein Orchester leiten.

Sie ging ins palästinensische Flüchtlingslager Jenin, kaum zehn Kilometer von ihrem Dorf entfernt, aber jenseits der israelischen Trennanlagen, und gründete dort die „Saiten der Freiheit“: 14 pubertierende Streicher, Trommler und Sänger, die klassische arabische Musik und Pop machten. Doch seit Kurzem darf sie Jenin nicht mehr betreten. Die Strafe dafür, dass sie das Jugendorchester vor Holocaust-Überlebenden in Israel hat auftreten lassen.

„Verbreitung westlicher Werte“

„Der ist völlig verrückt geworden“, ruft sie aufgebracht und fuchtelt mit den Armen, wenn die Sprache auf Zakarija Sbeidi kommt. Der Exkommandant der Fatah-nahen Terrorgruppe al-Aqsa-Brigaden steht für die inoffizielle Exekutive im Lager. Die Fatah wirft Wafa „Verbreitung westlicher Werte“ und „Irreführung Jugendlicher und deren Eltern“ vor.

Zusammen mit drei Kampfgenossen schnappte sich Sbeidi die zarte Musiklehrerin, verfrachtete sie in seinen alten Subaru, fuhr zum nächsten Übergang nach Israel, und katapultierte sie mit dem Zusatz, sie solle sich nicht mehr blicken lassen, aus seinem Auto.

Der Ausflug nach Israel war auch als Abwechslung für die Jugendlichen gedacht. 17 waren es, davon drei, die nicht musizieren, aber die Fahrt, inklusive Museumsbesuch und baden im Meer, nicht verpassen wollten. Ein Jahr vorher hatte Sbeidi selbst noch einen seiner Söhne mitgeschickt.

„Wir wollen dazu nichts mehr sagen“, wehrt er jeden Kommentar ab. Seit der Auflösung des Orchesters klingelt pausenlos sein Telefon. Journalisten fordern eine Erklärung. Der Ex-Guerillachef war nicht immer so medienscheu. 2007 avancierte Sbeidi zum Liebling israelischer TV-Sender, als er seine Waffen niederlegte. Der Kämpfer, der sich einst bei der vorzeitigen Zündung eines Sprengsatzes schwere Gesichtsverletzungen zugezogen hatte, wurde zum Symbol für die Abkehr der Fatah vom bewaffneten Kampf. Obwohl er heute keine offizielle Rolle mehr spielt, gilt er noch immer als der eigentliche Chef des „Muchaijem“, des Flüchtlingslagers, in dem er nicht weniger gefürchtet wird als die israelischen Soldaten. Das Lager war in der zweiten Intifada Schauplatz der schlimmsten Gefechte. Und ausgerechnet Jenin suchte sich Wafa Younis für ihr Projekt aus. Die geschasste Orchesterleiterin nimmt resigniert lächelnd einen Schluck von ihrem starken Kaffee. Ihre tiefen Falten lassen sie deutlich älter wirken, als sie ist. Gleichzeitig strahlen die wachen Augen Neugierde und fast kindliche Naivität aus.

Waffenruhe ja, Versöhnung nein

„Die ersten Schüler kamen zu mir ins Dorf. Später nahm sie sich eine Wohnung im Lager, um dort zu unterrichten. „Ich bekomme kein Geld, von niemandem“, ruft sie stolz. Ihr Unterricht ist gratis, die meisten Instrumente stellt sie selbst. Ihre ganze Abfindung von rund 35.000 Euro ist in das Projekt geflossen. „Wenn jetzt eine Spende käme, würde ich davon die psychologische Behandlung für Sbeidi bezahlen“, lacht sie.

Der begnügte sich nicht mit der Auflösung des Orchesters, er warf ihr auch Kollaboration mit dem israelischen Geheimdienst vor, was freilich keinen Sinn ergibt. Wahrscheinlicher ist, dass die ehemaligen Fatah-Kämpfer zwar zur Feuerpause bereit sind, zur Versöhnung jedoch längst noch nicht.

Der Auftritt vor den HolocaustÜberlebenden war nicht Wafas erster „Fehltritt“. Vor gut einem Jahr holte sie ihre jungen Musiker ins Dorf, um ein Konzert für die Befreiung der Inhaftierten zu geben. „Aller Inhaftierten“, betont sie. Neben den Bildern von drei israelischen Soldaten, die man damals in Geiselhaft glaubte, forderte ein großes Plakat die Freilassung palästinensischer Häftlinge.

Von den drei Israelis lebt nur noch Gilad Shalit. Wafa breitet ein T-Shirt aus, das die Kinder beim Konzert trugen: „Der Tag der guten Taten“, steht dort auf Hebräisch. „Freiheit für Shalit“, hat es Sbeidi den Eltern der Musiker in Jenin falsch übersetzt. Tatsächlich kennt Wafa Shalits Vater: „Er ist ein netter Mensch.“ Der Kampf um die Versöhnung der beiden Völker ist ein steter Balanceakt. „Sbeidi baut Mauern auf“, sagt Wafa, „zwischen Juden und Muslimen, und auch zwischen den Palästinensern im Westjordanland und denen in Israel.“

Die kulturellen Unterschiede auf beiden Seiten der Trennanlagen werden größer. Wenn sie nach Jenin fuhr, band sie das Tuch fest um den Kopf, nicht so nachlässig wie hier in Ara, wo es ihr immer vom Kopf rutscht, wenn sie auf den Stock gestützt, die paar Schritte zu ihrem Musikstudio humpelt. Eine Nachbarin winkt ihr freundlich zu. „Die Leute hier sind auf meiner Seite“, flüstert Wafa.

„Ich gebe nicht auf“

In Ara hält sie niemand für eine Spionin. In dem galiläischen Dorf lässt es sich gut leben, auch für eine geschiedene arabische Frau. Wafa wohnt mit ihrer 24-jährigen Tochter in einem Haus der Großfamilie, dahinter ist ein wilder Garten voller Obstbäume, durch den wie auf Bestellung ein Pferd galoppiert. Diese Idylle und die viel weiter fortgeschrittene Befreiung der Frau würde Wafa aufgeben, wenn sie für immer nach Jenin gehen könnte, wo Computer, TV und Konsum noch keine so tiefen Spuren hinterlassen haben.

„Ich vermisse die Kinder“, sagt sie traurig und zeigt auf die Fotos an der Wand. Auf einem Bild steht sie Arm in Arm mit Daniel Barenboim. „Sieh mal hier“, sagt sie und holt ein Foto von der Wand: „Sbeidis Sohn.“ Das Bild zeigt Wafa, wie sie einen vielleicht achtjährigen Buben auf den Armen hält.

Nun ruht ihre Hoffnung auf Palästinenserpräsident Abbas. Wenn er nicht hilft, soll ein Anwalt engagiert werden, der weder Israeli noch Palästinenser ist: „Ich gebe nicht auf, bevor ich zu meinem Orchester zurück kann.“

AUF EINEN BLICK

Wafa Younis, Musiklehrerin aus einem arabischen Dorf im Norden Israels, gründete vor einigen Jahren im palästinensischen Flüchtlingslager Jenin das Jugendorchester „Saiten der Freiheit“. In Jenin fanden 2002 die schwersten Kämpfe der Zweiten Intifada statt. Younis finanzierte das Projekt zur Gänze selbst, unterrichtete die Kinder gratis und stellte auch die meisten Instrumente zur Verfügung.

Die Fatah von Palästinenserpräsident Abbas, die in Jenin das Sagen hat, warf Younis nun aus dem Lager, nachdem sie mit ihrem Orchester in Israel vor Holocaust-Überlebenden auftrat. Das Orchester wurde aufgelöst, die Fatah beschuldigte Younis der „Verbreitung westlicher Werte“. Sie habe zudem die Kinder für politische Zwecke missbraucht und die Eltern über ihre wahren Absichten getäuscht.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.04.2009)

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