Nigeria: Ein Ex-Diktator als neuer Hoffnungsträger Afrikas

Buhari/ Jonathan
Buhari/ Jonathan(c) imago/Xinhua Afrika (imago stock&people)
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Jonathan gesteht Wahlniederlage ein und ermöglicht gewaltlosen Wechsel. Nachfolger Buhari muss nun Nigerias Probleme lösen – und den Hoffnungen auf mehr Demokratie in Afrika gerecht werden.

Kapstadt/Abuja. Um 17.15 Uhr klingelte das Telefon. Muhammadu Buhari, Spitzenkandidat der Opposition, wusste zu diesem Zeitpunkt, dass er die Präsidentenwahl in Nigeria gewonnen hatte. Doch in Afrikas einwohnerstärkstem Land gehört es zum politischen Standardhandwerk, Wahlergebnisse nicht anzuerkennen. So war der 72-jährige Buhari bei seinen Wahlniederlagen 2003, 2007 und 2011 ja selbst vorgegangen. Beim letzten Mal hatte es bei Protesten seiner Anhänger 800 Tote gegeben.

Doch am Apparat war Goodluck Jonathan persönlich. Der Amtsinhaber gratulierte noch vor Bekanntgabe des Endergebnisses durch die Wahlkommission zum Sieg. Er akzeptierte seine Niederlage. Es war ein historischer Moment – und das über die Landesgrenzen hinaus. Eine Abwahl einer Regierung hatte es in Nigeria noch nie und in ganz Subsahara-Afrika nur rund ein Dutzend Mal gegeben. Jonathans Geste, die hoffentlich tödliche Ausschreitungen zu verhindern vermag, hätten nur ausgeprägte Optimisten für möglich gehalten.

Auf Buhari wird nach seiner Vereidigung am 29. Mai also die Verantwortung ruhen, eine über die Grenzen hinausgehende Aufbruchsstimmung zu nutzen. Doch mit wem hat es Nigeria zu tun: einem lupenreinen Demokraten mit eiserner Hand oder etwa doch mit einem Diktator in demokratischem Gewand? 1984 hatte sich General Buhari für 20 Monate an die Macht geputscht und damals der „Disziplinlosigkeit“ den Krieg erklärt – mit Methoden, die oft skurril waren, aber auch gegen Menschenrechte verstießen.

Hoch-Streck-Sprünge als Strafe

Ältere Nigerianer erinnern sich, wie Beamte, die zu spät zur Arbeit erschienen, zur Strafe öffentlich Hock-Streck-Sprünge vorführen mussten. 500 Politiker, Regierungsmitarbeiter und Geschäftsleute wurden wegen Korruption inhaftiert. Am helllichten Tag versuchte Buharis Geheimdienst sogar im fernen London, einen ehemaligen nigerianischen Minister in ein Auto zu zerren, der vor der Antikorruptionskampagne geflüchtet war. Die Entführung scheiterte, die Beziehungen zwischen England und Nigeria waren über Jahre hinweg gestört.

Auch Journalisten landeten im Gefängnis, Kundgebungen wurden verboten und Frauen für einen „Verfall der Sitten“ verantwortlich gemacht. An Bushaltestellen überwachten Soldaten, dass die Menschen in geordneten Schlangen warteten. Nachhaltige Erfolge bei der Armutsbekämpfung und dem Aufbau der Infrastruktur konnte er aber nicht vorweisen. Buharis Herrschaft endete schließlich, wie sie begonnen hatte– durch das Militär. Der gestürzte Machthaber verbrachte drei Jahre im Gefängnis.

Alles Vergangenheit, sagt der neue Präsident; inzwischen stellt er sich als „konvertierter Demokrat“ vor. Sein Wahlkampfmotto lautete diesmal „Buhari for Change“ (Buhari für Veränderung). Zu den Planern des Konzepts gehörte der Ex-Barack-Obama-Wahlkampfmanager David Axelrod, den Buhari offenbar mithilfe eines einflussreichen Finanziers gewinnen konnte.

Axelrod setzte voll auf Personalisierung. Es gelang ihm, ein kraftvolles Image des 72 Jahre alten Buhari aufzubauen. Nigeria traute Buhari schließlich eher als dem bisweilen lethargisch wirkenden Goodluck Jonathan, 57, Erfolge im Kampf gegen die Terrororganisation Boko Haram zu. Er lehnte anders als der militärtaktisch ungeschickt agierende Jonathan jegliche Verhandlungen ab und versprach einen raschen Sieg unter seiner Führung.

Offenbar nahm ihn Boko Haram dabei zunehmend als Bedrohung wahr. Im Juli 2014 entkam er einem Bombenanschlag. Buhari überlebte unverletzt. Allerdings wurde das Auto, in dem er saß, beschädigt. Bilder, auf denen der Politiker später ruhig aussteigt und das Fahrzeug begutachtet, wurden zum Symbol für seinen Mut im Kampf gegen die Extremisten.

Niedriger Ölpreis sorgt für Probleme

Als mindestens ebenso wichtig aber erwies sich seine Reputation als einer der wenigen Unbestechlichen in Nigerias politischer Elite. Jonathan war spätestens im vergangenen Jahr in die Kritik geraten, als er den Direktor der Nigerianischen Zentralbank feuerte. Dieser hatte kritisiert, dass über zehn Milliarden Dollar aus den staatlichen Erdöleinnahmen versickert seien. Buharis Lebensstil gilt für einen Spitzenpolitiker als ungewöhnlich bescheiden.

Auf dem Politiker lastet enormer Erwartungsdruck. Seine Nation erwartet schnelle Erfolge in schwierigen Zeiten. Der niedrige Ölpreis hat die Staatseinnahmen des größten afrikanischen Erdölförderers erheblich reduziert. Der Naira, Nigerias Währung, hat seit Jahresbeginn 20 Prozent an Wert verloren, und noch immer leben über 50 Prozent der rasant wachsenden Bevölkerung unter der Armutsgrenze. Auch die Diversifizierung der Wirtschaft ist zeitaufwendig.

Dieser Prozess war von dem scheidenden Präsidenten Jonathan immerhin zaghaft begonnen worden. Sollte auch der bevorstehende Machtwechsel weitgehend friedlich vonstattengehen, wäre Jonathans Anteil daran nicht hoch genug zu bewerten. Seine wichtigste Amtshandlung könnte ein Anruf an einem Dienstagnachmittag gewesen sein.

AUF EINEN BLICK

Bei der Präsidentenwahl in Nigeria hat Herausforderer Muhammadu Buhari mit 53,95 Prozent der Stimmen gesiegt. Der bisherige Amtsinhaber Goodluck Jonathan kam auf 44,96 Prozent. Das erklärte die Unabhängige Nationale
Wahlkommission am Mittwoch. Buhari erhielt demnach um 2,57 Millionen Stimmen mehr als Jonathan. Die Wahlen in dem bevölkerungsreichsten Land Afrikas hatten bereits am Wochenende stattgefunden.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.04.2015)

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