Die Wirtschaft in der Islamischen Republik leidet massiv unter den internationalen Strafmaßnahmen. Und damit auch die Zivilbevölkerung.
Teheran. Rund 80 Millionen Einwohner; ein gut ausgebildeter Nachwuchs, der weltweit höchste Bevölkerungsanteil an Ingenieuren: Es geht hier nicht etwa um Deutschland, sondern um den Iran. Doch die Islamische Republik kann diesen Schatz nicht heben. Stattdessen plagt sie eine galoppierende Arbeitslosigkeit von inoffiziell 20 Prozent. Auch, aber nicht nur, weil das Land unter der Last der Sanktionen ächzt.
Als nun am Genfersee in Lausanne um eine Einigung im Konflikt um Teherans Atomprogramm gerungen wurde, ging es nicht nur um die erlaubte Zahl der Zentrifugen oder nuklearen Brennstäbe. Die Verhandler auf der anderen Seite des Tisches trieb die Frage um, wann und wie schnell die Sanktionen gelockert werden können. Irans Außenminister, Mohammad Javad Zarif, hat 76 Millionen Iraner im Nacken, die auf rasche Erleichterungen in ihrem Alltag hoffen. Denn der UN-Sicherheitsrat sowie zusätzlich die EU und die USA haben in den vergangenen Jahren ein engmaschiges Geflecht aus Sanktionen geknüpft – das sich übrigens teilweise gar nicht so schnell und leicht entwirren lässt. Die Strafmaßnahmen treffen die Iraner hart und lassen sich zum Teil auch ganz bildlich einfangen: Wenn etwa Flugzeuge für immer auf dem Boden bleiben – weil die Ersatzteile fehlen, um die Flotte wieder zusammenzuflicken. Oder wenn weniger Autos vom Fließband laufen. Die Autoproduktion brach von 1,6 Millionen Stück im Jahr 2011 auf weniger als eine Million im Jahr 2013 ein. Wobei das am 20. Jänner 2014 in Kraft getretene nukleare Interimsabkommen für beide Sektoren Erleichterungen brachte.
Der Ölgigant wankt
Die Sanktionen, etwa der EU, zielten ohnehin auf das Herz von Irans Wirtschaft, die Ölindustrie. Brüssel verhängte 2012 ein (nach wie vor bestehendes) Öl- und Gasembargo gegen Teheran. Die Zahl der Rohölexporte fiel auch deshalb von 2,5 Millionen Fässern pro Tag im Jahr 2011 auf geschätzte 1,1 Millionen im Jahr 2013. Immer enger wurde die Schlinge um den Rohstoffriesen gezogen. Eine weitere EU-Sanktion verbot es westlichen Konzernen, iranische Öltanker zu versichern. Und dann stürzte auch noch der Ölpreis ab. Eine Tragödie für ein Land, das die Hälfte seines Staatshaushalts mit Einnahmen aus dem Mineralölsektor bestreitet. Zugleich verfallen Irans Raffinerien, weil Sanktionen den Import von neuer Technologie untersagen. Das führt zu der absurden Situation, dass das Land mit den weltweit viertgrößten Ölreserven Benzin importieren muss.
International isoliert
Im Zuge des Atomstreits wurden der Islamischen Republik auch sämtliche Zugänge zu internationalen Finanztransaktionen verwehrt. Westliche Banken dürfen keine Geschäfte mit dem Iran machen, was etwa die französische Großbank BNP Paribas schmerzhaft erfahren musste. Das alles hat den wirtschaftlichen Verfall der schiitischen Großmacht (zumindest) beschleunigt: Das Bruttonationalprodukt brach in der Periode von 2012 bis 2014 um 30 Prozent ein. Die Landeswährung Rial verlor rasant an Wert, die Preise schossen zugleich in die Höhe: Vorübergehend erreichte die Inflation mehr als 40 Prozent, sank zuletzt aber wieder auf immer noch hohe 20 Prozent.
Engpass bei Medikamenten
Not macht aber auch erfinderisch: Die Sanktionen gegen den Ölsektor führten etwa zur verstärkten Ausfuhr anderer Produkte wie Mineralien oder Zement und zu einer stärkeren Inlandsproduktion einzelner Güter, wie der Iran-Experte Kenneth Katzman in einer Studie im Auftrag des US-Kongresses ausführt. An seinem Schluss lässt das keinen Zweifel: Dass die Sanktionen zumindest ein Faktor waren, der den Iran wieder an den Verhandlungstisch gezwungen hat.
Kritiker monieren freilich, dass es sich bei den Sanktionen um eine Form des Wirtschaftskriegs handle, in dem die Bevölkerung zum Kollateralschaden wird. Unbestritten ist, dass sich westliche Konzerne sehr zaghaft im Iran bewegen – auch dann, wenn sie in Sektoren tätig sind, die nicht von den Sanktionen betroffen sind. Das gilt etwa für die Pharmaindustrie und führte Berichten zufolge zu einem Medikamentenengpass. Wahr ist aber auch, dass nach einem Atomdeal die Konzerne wohl Schlange stehen.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.04.2015)