Deutschland: In der Moschee gegen Radikalisierung wirken

Die Berater Pinar Çetin (l.), Thomas Mücke und Levent Yükçü (r.) vor der Şehitlik-Moschee in
Die Berater Pinar Çetin (l.), Thomas Mücke und Levent Yükçü (r.) vor der Şehitlik-Moschee in(C) DiePresse/ Özkan
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Mit einem neuen Beratungsprojekt in Berlin will man gefährdete Jugendliche direkt in der Moschee abfangen.

Berlin. Neulich kam ein Mann zu Levent Yükçü ins Büro und erzählte ihm davon, wie der Jihad richtig zu führen sei. Er wolle endlich anfangen, so der junge Konvertit, wie ein richtiger Muslim zu leben. Eigentlich habe er in eine arabisch geführte Moschee in einem anderen Stadtteil wollen, aber dort habe keiner Zeit für ihn gehabt, also fand der mutmaßlich radikalisierte Mann den Weg zu Yükçü in der Şehitlik-Moschee in Berlin-Neukölln. Glorreiche Reden über den Jihad hat der Mann von Yükçü freilich keine erhalten. Was er ihm anbot, waren eine Tasse Tee und seine Aufmerksamkeit.

„Wir sind an ihm dran“, sagt Yükçü. Der pädagogische Berater sitzt in einem länglichen Raum in einem Nebengebäude der Moschee, im Zimmer daneben wurde ein kleines Museum mit religiösen und kulturellen Gegenständen eingerichtet. „An ihm dran sein“ heißt für Yükçü: Jeden Tag den Kontakt suchen, SMS schreiben, schauen, was er auf Facebook treibt. Der Betroffene sei psychisch labil. „Es kann ganz schnell passieren“, sagt der Berater, „dass er auf der anderen Seite landet.“ Auf der Seite, die den Weg Richtung Syrien vorgibt.

Die Şehitlik-Moschee – betrieben vom türkischen Religionsministerium Diyanet – gehört zu den bekanntesten islamischen Einrichtungen in Berlin. Im Gelände befindet sich ein Friedhof, auch ein Raum für Festlichkeiten ist vorhanden. Egal, welche anderen Gebetshäuser die Muslime der Stadt besuchen, irgendwann kommen alle mit der Şehitlik-Moschee in Berührung, sagt Pinar Çetin, die ebenfalls als Beraterin arbeitet. Und genau deswegen wurde die neue Beratungsstelle für radikalisierte und gefährdete Jugendliche hier eingerichtet. Das Ziel des Pilotprojektes ist es, möglichst nah an die Betroffenen heranzukommen, sie aus dem radikalen Milieu zu entfernen und sie in eine alternative, moderate und liberale muslimische Gemeinschaft zu integrieren.

„Für sie ist dieses Gefühl, zu einer Gemeinschaft dazuzugehören, ganz wichtig. Nur mit einer Distanz zur Szene ist es nicht getan“, sagt Thomas Mücke vom Verein Violence Prevention Network, der das Projekt federführend leitet.

Gemeinsam mit Yükçü hat Mücke bereits früher Syrien-Rückkehrer im Gefängnis und radikalisierte Jugendliche betreut, aber spätestens mit den Anschlägen in Paris wurde der Ruf nach Präventionsarbeit lauter. Violence Prevention Network führt in Hessen ein ähnliches Projekt durch, allein in diesem Bundesland entstand innerhalb weniger Monate der Kontakt zu 40 radikalisierten Jugendlichen. Dafür habe Hessen aber auch Geld investiert – ein Schritt, den Mücke bei vielen anderen Bundesländern vermisst. In Berlin übernehmen das Bundesfamilienministerium sowie die Stadt die Finanzierung.

Muslimische Berater als Türöffner

In der neuen Beratungsstelle – die übrigens nach dem syrisch-christlichen Mönch Bahira benannt wurde – wolle man nun auf die Hinweise der Angehörigen professionell reagieren. Bisher wurden die liberalen muslimischen Gemeinschaften mit der ehrenamtlichen Präventionsarbeit im Stich gelassen, sagt Beraterin Çetin: „Je schwächer die Moscheen sind, umso stärker wird die radikale Szene.“ Die Arbeit mit den Jugendlichen selbst ist freilich aufwendig, so Mücke: „Sie sind hochgradig misstrauisch.“ Als Türöffner fungieren Berater mit muslimischer Identität. Mit Erfolg: Kein einziger Betroffener habe das Gespräch abgelehnt oder abgebrochen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.04.2015)

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