Nigel Farage: "Die EU ist in der Hand von Fanatikern"

Britain's United Kingdom Independence Party (UKIP) leader Nigel Farage unveils his party's manifesto in Aveley, southeast England
Britain's United Kingdom Independence Party (UKIP) leader Nigel Farage unveils his party's manifesto in Aveley, southeast EnglandREUTERS
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Mit striktem Anti-EU-Kurs und strenger Einwanderungspolitik will die rechtspopulistische United Kingdom Independence Party (UKIP) in Großbritannien punkten. Parteiführer Nigel Farage im Interview.

Unterstützen Sie die Position von Premierminister David Cameron, die Briten in einer Volksabstimmung über die EU-Mitgliedschaft abstimmen zu lassen?

Nigel Farage: Ja.

Werden Sie das Ergebnis anerkennen?

Ja, unter der Voraussetzung, dass die Volksabstimmung fair, frei, mit Ausgabenobergrenzen und unter unabhängiger Kontrolle abgehalten wird. Wir haben Volksabstimmungen in anderen europäischen Staaten gesehen, die nicht frei und fair waren und in denen eine Seite massive Unterstützung des Staates und ungleich mehr Mittel hatte.

Und wenn das Ergebnis nur sehr knapp ausfällt, etwa 51:49 – wird dann das Thema in Ihren Augen erledigt sein?

Das ist wohl das Kernproblem, oder? Wir sehen derzeit wohl etwas Ähnliches in Schottland. Manchmal braucht es ein wenig länger, große konstitutionelle Fragen zu lösen. Ich hoffe und glaube jedenfalls, dass die Briten in einem Referendum sagen werden: Wir müssen nicht Mitglied in einer politischen Union sein, um Freunde mit Frankreich und Deutschland zu sein und mit ihnen Handel zu treiben.

Premier Cameron will die britische EU-Mitgliedschaft neu verhandeln. Kann er irgendetwas aus Brüssel mit nach Hause bringen, das Sie zu einer Änderung Ihrer Forderung nach einem EU-Austritt bewegen kann?

Er kann nichts erreichen, das irgendetwas wert wäre. Man kann nicht ein demokratischer Staat und Mitglied in der EU sein. 75 Prozent unserer Gesetze werden in Brüssel gemacht, und wir können nichts tun. Wir haben kapituliert. Die Briten wollen zwei Dinge: Wir wollen unsere Rechtshoheit zurück und nicht dem Europäischen Gerichtshof und dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte untergeordnet sein. Und wir wollen die Kontrolle über unsere Grenzen zurück und ein Ende der uneingeschränkten Bewegungsfreiheit für Arbeitnehmer. Wenn man Menschen in Ländern, in denen der Mindestlohn zehnmal niedriger ist, sagt, sie können leben, wo sie wollen, dann werden sie das auch tun. Aber jeder in Brüssel, von Juncker über Tusk bis Merkel, hat klargemacht, darüber nicht einmal verhandeln zu wollen.

Also gibt es nichts zu verhandeln?

Nichts Substanzielles. Es handelt sich nur um eine Taktik von Cameron, um Zeit zu gewinnen.

Nun sind Sie selbst Abgeordneter zum EU-Parlament. Wäre es nicht klüger, die Union von innen zu verändern als auszutreten?

Nein. Das gesamte EU-Projekt ist in der Hand von Fanatikern, vollkommenen Fanatikern, die einen europäischen Staat, eine europäische Armee, eine europäische Außenpolitik usw. wollen. In keiner Weise wollen sie Europa in jenes Europa verwandeln, das ich sehe: ein Europa der souveränen Nationalstaaten. Mit diesen Leuten kann man nicht verhandeln, sie haben längst ihre Position gebildet, es ist sinnlos.

Was sind die Hauptanliegen der Wähler, die Sie im Wahlkampf hören?

Die größte Sorge ist die Einwanderung und der damit verbundene Druck auf den Lebensstandard, auf öffentliche Dienste wie Wohnen, Verkehr und Gesundheitswesen sowie die Zusammensetzung unserer Gemeinden.

Das ist untrennbar mit der EU-Mitgliedschaft verbunden. Sie betonen, Ihre Partei sei nicht rassistisch...

Wir sind eine absolut nicht rassistische Partei. Wir haben Mitglieder und Kandidaten aller Rassen, Farben und Religionen. Viele wurden in verschiedensten Teilen der Welt geboren, bevor sie britische Staatsbürger wurden. Es ist nicht rassistisch, über Einwanderung zu sprechen. Es ist nicht rassistisch, über Grenzkontrollen zu sprechen. Im Gegenteil, es ist richtig und vernünftig.

Wie ist die Position Ihrer Partei?

Jeder, der legal hierhergekommen ist, selbst wenn die Vorschriften zu lax waren, ist legal hier und soll bleiben dürfen. Wir sind ein ehrbares Land, wir halten unsere Versprechen. Wir sind nicht gegen Einwanderung, aber wir wollen Kontrolle. Dafür fordern wir die Einführung eines Modells nach australischem Vorbild, mit dem wir die Zahlen streng kontrollieren und bestimmen, welche Menschen mit welcher Ausbildung kommen. Wir wollen keine Menschen mit Vorstrafen, und wer zu uns kommt, muss Krankenversicherung mitbringen. Großbritannien hatte zuletzt 300.000 Einwanderer im Jahr. Das ist nicht tragbar. Wir wollen auf 30.000 bis 50.000 Personen pro Jahr zurück, jenes Niveau, das wir vor der EU-Erweiterung 2004 hatten.

Wollen Sie dabei eine Unterscheidung zwischen Immigranten nach Herkunft machen?

Das ist genau der Punkt: Nach unserem Modell würden wir nach Fähigkeiten und Ausbildung entscheiden, nicht nach Herkunft. Momentan haben wir das Gegenteil, denn jeder aus der EU kann einfach kommen. Das hat keinen Sinn und ist diskriminierend.

Hat Großbritannien insgesamt von der Einwanderung profitiert?

Nein. Vor zehn Jahren hätte ich Ja gesagt, heute sage ich Nein.

Aber alle Untersuchungen und Statistiken zeigen eine positive Bilanz.

Ja, ja, ja. Ein paar kleine Zuckungen des BIPs machen ein Land weder besser noch glücklicher. Es geht um Fragen der Lebensqualität und der Lebenschancen von Menschen.

Wie viele Sitze wird UKIP bei den Parlamentswahlen am 7. Mai gewinnen?

Das weiß ich genauso wenig wie Sie oder sonst irgendjemand. Aber wir sind sehr zuversichtlich. Wir ziehen Unterstützer aus allen Parteien und allen Kreisen an, und jeder vierte potenzielle UKIP-Wähler war bisher Nichtwähler. Wer UKIP wählt, bekommt UKIP.

Aller Wahrscheinlichkeit nach wird keine Partei die absolute Mehrheit gewinnen. Können Sie sich eine Koalition vorstellen?

Wenn die Konservativen die stärkste Partei werden und Herr Cameron bereit ist, sein zögerliches Versprechen einer EU-Volksabstimmung umzusetzen, dann besteht vielleicht die Gelegenheit, sie ein wenig grillen zu können.

Steckbrief

Am 3. April 1964 wurde Nigel Farage, der hugenottische Vorfahren hat, als Sohn eines Börsenmaklers in Kent geboren. Der Vater verließ die Familie, als Farage fünf Jahre alt war. Nach seinem Abschluss an einer öffentlichen Schule begann Farage in der City of London als Rohstoffhändler zu arbeiten.

1993 war er Gründungsmitglied der UK Independent Party (UKIP). Kurz zuvor hatte er der Konservativen Partei den Rücken gekehrt, weil er den EU-Kurs unter dem damaligen Premier John Major nicht billigte.

1999 wurde der EU-Gegner ins Europäische Parlament gewählt. Seit 2004 ist er Vorsitzender der Fraktion Europa der Freiheit und der direkten Demokratie.

2006 übernahm Farage die Parteiführung und ist seither – mit einer kurzen Unterbrechung – UKIP-Chef.

Am 7. Mai tritt er bei den Unterhauswahlen in seinem Wahlkreis Kent an.

Nigel Farage ist in zweiter Ehe verheiratet und hat vier Kinder.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.04.2015)

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