Kasachstan: Nasarbajews Drahtseilakt in der Krise

KAZAKHSTAN PRESIDENT NAZARBAYEV
KAZAKHSTAN PRESIDENT NAZARBAYEV(c) EPA (Sergei Chirikov)
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Die Wiederwahl von Langzeitpräsident Nasarbajew am Sonntag gilt als sicher. Hinter den Kulissen verunsichern Ölpreisverfall, Rubelabwertung und Moskaus Machtpolitik die Republik.

Wien/Astana. „Sei ein Patriot, kaufe kasachisch!“ – Kasachischen Konsumenten begegnen derzeit Poster dieser Art in Supermärkten im ganzen Land. Die Kampagne, ausgerufen von Langzeitpräsident Nursultan Nasarbajew im Februar, dient nicht nur der patriotischen Erziehung der 17 Millionen zählenden Nation. Sie hat handfeste wirtschaftliche Hintergründe – ebenso wie die vorgezogenen Präsidentenwahlen am Sonntag, bei denen eine Abwahl des 74-jährigen Autokraten angesichts zweier schwacher Gegenkandidaten so gut wie ausgeschlossen ist.

Kasachstan, Flächenstaat in Zentralasien so groß wie Westeuropa und frühere Sowjetrepublik, hat vom Öl- und Gas-Export viele Jahre gut gelebt. Doch seit dem Ölpreisverfall und der drastischen Währungsabwertung beim nördlichen Nachbarn Russland denkt man in der Hauptstadt Astana mehr als bisher über Alternativen nach. 2014 wuchs die Wirtschaft um 4,3 Prozent. Prognosen zufolge wird das Wachstum im laufenden Jahr nur 1,5 Prozent ausmachen – zu wenig für ein Land, das sich eine Teilhabe der Mittelschicht am Wohlstand vorgenommen hat. Das Votum am Sonntag soll Nasarbajew ein starkes Mandat geben – bevor schlechte Stimmung aufkommt.

Förderung der Industrie

„Eine klare Botschaft für ökonomische Diversifizierung“ entnimmt der kasachische Botschafter in Österreich, Kairat Sarybay, der aktuellen Lage. „Solange man satt ist, versteht man das nicht, sondern erst, wenn man hungrig ist.“ Eine Bemerkung, die bei der Zurückhaltung, die ein Diplomat wie Sarybay an den Tag legt, durchaus Brisanz hat. Die fehlenden Budgeteinnahmen sollen Mittel aus dem 100 Milliarden Dollar schweren Nationalfonds kompensieren, der nun von der Regierung für Infrastrukturprojekte angezapft wird: Kasachstan investiert in Straßen- und Eisenbahnbau, um seine oft beschworene eurasische Brückenfunktion verstärkt wahrzunehmen. Auch will man vermehrt ausländische Investoren im Industriebereich anziehen.

Denn der „billige“ Rubel schwächt die heimische Industrie: Billige russische Produkte überschwemmen dank der Zollfrei-Regelung der Eurasischen Wirtschaftsunion den Markt. Ob die Kasachen durch Werbekampagnen zu patriotischem Shopping bewegt werden können, ist offen. Einige russische Produkte wie Fleisch, Mayonnaise und Schokolade wurden bereits aus den Regalen verbannt – wegen angeblicher Hygienemängel.

(C) DiePresse

Unter kasachischen Geschäftsleuten häufen sich Stimmen, die angesichts der unausgeglichenen Handelsbilanz nach dem Nutzen der Wirtschaftsunion fragen. Kasachstan ist mit Russland, Weißrussland und Armenien Gründungsmitglied, der Beitritt Kirgisistans wird im Mai erwartet. Kasachstan und Russland seien „natürliche Partner“, sagt Sarybay, ein ukrainischer „Zick-Zack-Kurs“ sei angesichts der geografischen Lage keine Option. Doch die russische Reaktion in der Ukraine-Krise – Annexion der Krim, Mitmischen im Donbass-Krieg – hat auch in Kasachstan Befürchtungen geweckt. Wenn Ultranationalisten wie der Duma-Abgeordnete Wladimir Schirinowski sich dafür aussprechen, Kasachstan an die Russische Föderation anzugliedern, müssen in Astana die Alarmglocken schrillen. Aufsehen erregte auch die Äußerung des russischen Präsidenten Wladimir Putin im Vorjahr, wonach Kasachstan keine lange Tradition von Staatlichkeit besitze und Teil des „Russkij Mir“ sei – also Teil jener russischen Welt, die überall dort ist, wo Russen und Russischsprachige leben. Die russische Minderheit macht fast ein Viertel der Bevölkerung aus, nahezu alle Kasachen sprechen russisch.

Khanat als Ursprung der Nation

Offiziell zerstreut man die Bedenken: Kasachische Beamte betonen im Gespräch das friedliche multinationale Miteinander. Nach Botschafter Sarybays Verständnis wurde das Putin-Zitat medial aufgebauscht. Freilich: Man kann darauf vertrauen, dass die Feiern zum 550. Jahrestag der Gründung des ersten kasachischen Khanats, Vorläufer des heutigen Kasachstan, heuer besonders festlich begangen werden.

Solange Nasarbajew an seiner Schaukelpolitik festhält, ist keine russische Landnahme zu befürchten. Aber was wäre in einem Moment der Schwäche – wenn er einmal nicht mehr im Amt sein sollte? Die Nachfolge ist ein heikles Thema, über das Vertreter Kasachstans nur ungern sprechen. Namen werden keine genannt, die staatlichen Institutionen müssten weiter gestärkt werden, heißt es. Heute muss die Führung in Astana weder Oppositionelle noch unzufriedene Mittelschichtsbürger ernsthaft fürchten. Das größte Risiko kommt aus den eigenen Reihen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.04.2015)

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