Wie ukrainische Separatisten ihre Militärmacht demonstrieren

Donezk
Donezk(c) Die Presse - Jutta Smmerbauer
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Mit einer riskanten Militärparade zeigt die De-facto-Regierung in Donezk ihre Stärke – und präsentiert ihre Kämpfer erstmals als Armee.

Wenn am heutigen 9. Mai um zehn Uhr Lokalzeit die Panzer über den Donezker Artjom-Prospekt rollen werden, dann ist das nicht nur ein Tribut an den 70. Jahrestag des Kriegsendes, sondern vor allem eine Machtdemonstration in der Gegenwart: Die Donezker Separatisten lassen trotz des Protests aus Kiew im Stadtzentrum Bewaffnete aufmarschieren; schweres Gerät rollt über den Asphalt, auch wenn das nicht dem Entmilitarisierungsgebot des Minsker Abkommens entspricht, zu dem man sich verpflichtet hat. Die separatistische Führung will es dennoch riskieren: Plakate in der Millionenstadt haben in den vergangenen Tagen die Militärparade angekündigt, Donezk ist mit Plakaten geschmückt, der Rasen geschnitten. Der „Tag des Sieges“ ist in der sowjetisch geprägten Industrieregion ein wichtiger Feiertag: Man ehrt die Veteranen und lässt die Vergangenheit in ungetrübtem Licht erscheinen. Alexander Sachartschenko, Separatistenpräsident und Oberbefehlshaber des Militärs, gab die Parole aus: „Unsere Großväter haben gesiegt, und wir werden siegen.“

Bei der Generalprobe der Parade vorgestern hat es noch am Gleichschritt der unterschiedlichen Abordnungen gehapert, aber eines sollte beim Anblick klar werden: Die improvisierte Volkswehr, Opoltschenie genannt, die verschiedenen Bataillone mit ihren anarchischen Anführern, die mehrheitlich aus Russland rekrutierten Söldner – sie alle sollen zu einer Armee der Donezker Volksrepublik (DNR) verschmelzen, unter einheitlichem Kommando.

Blanke Stiefel, einheitliche Uniform

Doch noch lang nicht sieht die Situation auf dem Boden so aus wie es der zackige Marsch der zehn verschiedenen Abordnungen, jede mit eigener Uniform, spezifischen Abzeichen und allesamt blankgeputzten Stiefeln, suggerieren soll. Fährt man dieser Tage durch die DNR, begegnet man zahllosen Männern in zusammengestoppelten Uniformen, viele ohne Abzeichen, aber alle mit Waffen. Die De-facto-Regierung will das problematische Image der unkontrollierten Freischärler loswerden und sich nach außen hin als geordnete Verteidigungskraft präsentieren.

Genau ein Jahr ist es her, dass prorussische Aktivisten das Weltkriegsgedenken am Donezker Denkmal gestört haben. Die Musiker einer Militärkapelle, die die ukrainische Hymne spielten, wurden angerempelt und mussten das Konzert abbrechen. Verfügten die Aktivisten anfangs gerade einmal über Sturmgewehre, vergrößerte sich ihr Waffenarsenal zusehends, einerseits durch erbeutete Waffen, andererseits durch russische logistische Hilfe in entscheidenden Phasen des Kampfs. Was vor einem Jahr als bewaffneter Aufstand gegen den proeuropäischen Regierungswechsel in Kiew begonnen hat, hat sich zu einem Krieg mit mehr als 7000Toten entwickelt. 1675 ukrainische Soldaten wurden nach Angaben von Präsident Petro Poroschenko seit seinem Beginn getötet.

Waren zunächst im von den Separatisten kontrollierten Donbass nur ein paar Dutzend Bewaffnete anzutreffen, schätzt man die Stärke der prorussischen Milizen mittlerweile auf 40.000 bis 60.000 Mann. Alexander Chodakowskij, Gründer des Bataillons Wostok und heute Chef des DNR-Sicherheitsrats, erklärt im Gespräch mit der „Presse“, dass einfache Bewaffnete bereits zu 70Prozent in die offiziellen Verteidigungskräfte eingegliedert seien. Auch Ausländer könnten in der DNR-Armee dienen. Chodakowskij distanziert sich im Gespräch mit internationalen Journalisten deutlich von den teilweise chaotischen Bataillonen. Auch das von ihm gegründete Bataillon Wostok (Osten) sei bereits Teil der allgemeinen Armee, mehrere Einheiten trügen diese Bezeichnung heute nur noch aus „historischen Gründen“.

Kiew wie Donezk warnten in den vergangenen Tagen davor, dass die jeweils andere Seite Provokationen rund um den „Tag des Sieges“ vorbereite. Was die Präsentation moderner, russischer Waffen betrifft, dürfe man sich in Donezk nicht aufs Glatteis begeben: Bei der Generalprobe hat es nur ein paar Kampfpanzer, Mannschaftstransporter, Grad-Raketen und Haubitzen zu sehen gegeben – allesamt aus sowjetischer Produktion.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.05.2015)

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