Der unerfüllte Traum vom Anschluss an Russland

Die ostukrainischen "Volksrepubliken" ein Jahr nach dem Abspaltungs-Referendum: Die Euphorie über die Lossagung von Kiew ist verklungen, der Hass ist geblieben.

Wenn Oleg Filatow ein wenig träumen darf, stellt er sich die Zukunft seiner Heimat so vor: „Eine unabhängige Republik, die gleichberechtigte Beziehungen mit Russland, der Ukraine und Europa eingeht.“ Doch davon ist die Realität in der Donezker Volksrepublik (DNR) ziemlich weit entfernt, das weiß auch der Souvenirhändler. Filatow, der als Manager, Croupier und Bauarbeiter gearbeitet hat, versucht das Beste aus der neuen Situation zu machen. Er verkauft Aufkleber in den DNR-Nationalfarben schwarz-blau-rot, die über die ukrainische Flagge auf den Nummernschildern geklebt werden, und Feuerzeuge mit Neurussland-Emblem. Auch verschiedenfarbige Plastik-Passhüllen mit dem goldfarbenen Aufdruck DNR hat er im Angebot, sie kosten 25 Griwnja, umgerechnet einen Euro. „Wir produzieren für die Masse“, sagt er. „Der Preis muss erschwinglich sein.“

Doch die DNR-Passhüllen können die zusehends schwierige Ausreise aus der Kriegszone nicht beschleunigen. Im Gegenteil. „Es ist nicht ratsam, diese Umschläge bei einer Fahrt in die Ukraine dabeizuhaben“, muss Filatow zugeben. Die ukrainischen Soldaten an den Checkpoints fänden die Separatisten-Accessoires wohl nicht amüsant.

Das Separatistengebiet im Osten der Ukraine feiert heute nach der eigenen Zeitrechnung ein Jahr des Bestehens. Der 11. Mai ist neuerdings der Tag der Republik. Am 11. Mai 2014 organisierten prorussische Aktivisten in den Städten Donezk und Luhansk eine Abstimmung über den Status des Territoriums. Zuvor hatte es wochenlange Protestaktionen gegen den proeuropäischen Machtwechsel in Kiew gegeben. Die Abstimmung verlief chaotisch. Doch die langen Schlangen vor den improvisierten Wahllokalen und das Ergebnis von knapp 90 Prozent Zustimmung in Donezk werden heute als Rechtfertigung für die legitime Herrschaft der prorussischen Führung angeführt.

In mehrerlei Hinsicht haben sich die Donzeker und Luhansker Separatistengebiete der viel beschworenen „russischen Welt“, (russkij mir), in diesem Jahr angenähert. Der Rubel ist offiziell zweites Zahlungsmittel, in Läden finden sich immer mehr russische Produkte, an den Universitäten hofft man auf russische Abschlüsse. Wenn Pawel Gubarew, der vor einem Jahr vom ukrainischen Geheimdienst kurzzeitig verhaftete „Volksgouverneur“ von Donezk und im Gegensatz zu den anderen farblosen Repräsentanten der Separatisten geradezu ein Volkstribun, auf dem Leninplatz lautstark zum „Ruhm für Russland“ aufruft, dann klatschen die Menschen immer noch.

Einen Anschluss an den großen Nachbarn verspricht freilich keiner der Donezker oder Luhansker Machthaber mehr. Russlands Präsident Wladimir Putin hat längst klargemacht, dass er nicht an eine Aufnahme des Donbass denkt. Moskaus Unterstützung ist nicht bedingungslos: Ja, Russland lässt kampfeswillige Freiwillige ungehindert in den Donbass reisen, das russische Militär leistete in entscheidenden Kriegsphasen offen Schützenhilfe. Moskau liefert humanitäre Hilfe und dürfte die vor Kurzem begonnene erstmalige Auszahlung von Pensionen in Rubel finanzieren.

Doch keine Rede ist von Wiederaufbauhilfe, ganz zu schweigen von Investitionen. Der abgespaltene Donbass ist eine rechtliche und wirtschaftliche Grauzone geworden, in der Schwarzhandel blüht. Es gibt kein Bankensystem mehr, und die Frontlinie wird immer mehr zur befestigten Grenze: Der Warenverkehr aus ukrainisch kontrolliertem Gebiet stockt, die Preise in Donezk sind gestiegen. Das von Kiew im Jänner eingeführte äußerst bürokratische Passierschein-System ist freilich auch dafür geeignet, die letzten Sympathien für Kiew zu vertreiben: Die Bürger müssen bis zu zwei Monate auf diese Reisegenehmigungen warten. Zudem machen viele hier die ukrainische Armee einseitig für die Zerstörungen verantwortlich.

Populistische Rhetorik

Noch leben die Separatisten gut von der Ablehnung. Doch Entwicklungsperspektiven können sie kaum bieten. Die lokalen Machthaber setzen daher auf populistische Rhetorik. „Es fängt alles erst an“, heißt es auf Plakaten. Man wirbt mit einer nationalisierten Supermarktkette namens Erster Supermarkt der Republik. Auch eine instandgesetzte Elektritschka zählt zu den Prestigeprojekten der Donezker Volksrepublik. Es ist der erste Passagierzug im Krisengebiet, der wieder fährt. Von Donezk nach Luhansk sind es fünfeinviertel Stunden Fahrt für 230 Kilometer, die Bahn schleicht vorbei an den rosagrauen Schlackehügeln der Schächte, an Minen-verseuchten unbestellten Feldern und Friedhöfen mit vielen neuen Holzkreuzen.

Die 65-jährige Ljuba Iwanowna hat Tabletten gegen den Bluthochdruck genommen, bevor sie im kriegszerstörten Debaltsewo aussteigt, um ihre Pension abzuholen. Was solle sie tun, sagt sie, sie habe ja nur diese eine. Dann nichts wie wieder weg: Sie halte den Anblick der Trümmer nicht aus.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.05.2015)

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