Ägypten: Heftige Kritik an Mursi-Todesurteil

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Die Verurteilung des islamistischen Ex-Präsidenten Mursi durch das Militärregime sorgt für weltweite Empörung: Die USA haben sich besorgt über die "Praxis der Massenprozesse" geäußert.

Kairo. Das Todesurteil gegen den vom ägyptischen Militär gestürzten islamistischen Präsidenten Mohammed Mursi und 105 Mitangeklagte hat international scharfe Kritik ausgelöst. „Wir sind tief besorgt“, erklärte ein Sprecher des US-Außenministeriums und kritisierte erneut „die Praxis von Massenprozessen und Massenurteilen, die unvereinbar sind mit Ägyptens internationalen Verpflichtungen und einem Rechtsstaat“.

Protest kam auch aus Deutschland: Außenminister Frank-Walter Steinmeier verlangte eine Überprüfung, ob der Richterspruch nach Recht und Gesetz gefallen sei. „Für uns ist das in Deutschland eine Form der Strafe, die wir kategorisch ablehnen“, sagte er in der jordanischen Hauptstadt Amman.

„Grotesk und unfair“

Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International nannte den Prozess „grotesk unfair“ und den Richterspruch einen Beleg für „den kläglichen Zustand der Strafjustiz im Land“. Die Todesstrafe sei zum Lieblingswerkzeug der ägyptischen Mächtigen geworden, um die politische Opposition zu eliminieren, hieß es.

Und der türkische Präsident, Recep Tayyip Erdoğan, kritisierte, Ägypten kehre zu alten Zeiten zurück, und warf den westlichen Staaten vor, den Militärputsch von Ex-Feldmarschall Abdel Fattah al-Sisi zu ignorieren. Nach ägyptischem Recht müssen die von dem Gericht vorgesehenen Todesurteile dem ägyptischen Obermufti vorgelegt werden, der als Scharia-Experte ein Beratungsrecht hat. Das endgültige Urteil soll dann am 2.Juni verkündigt werden. Es kann in einem Revisionsprozess angefochten werden.

Das Gericht warf den Angeklagten vor, die zu Beginn des Arabischen Frühlings vorübergehend festgenommen worden waren, zusammen mit rund 20.000 Kriminellen am 28.Jänner 2011 aus dem Gefängnis ausgebrochen zu sein. Mubarak hatte damals das Wachpersonal abgezogen und die gesamte Polizei von den Straßen beordert, um Chaos zu säen und seine aufständische Bevölkerung einzuschüchtern.

Sollte das endgültige Todesurteil gegen Mohammed Mursi am 2.Juni verkündet werden, wäre das einen Tag vor dem Staatsbesuch des ägyptischen Präsidenten in Deutschland. Die heikle Reise, für die die Führung in Kairo monatelang antichambriert hat, ist im politischen Berlin schon jetzt wegen der krassen Menschenrechtsverstöße des Regimes umstritten.

Das Mursi-Todesurteil wird zudem die innenpolitischen Spannungen in Ägypten weiter wachsen lassen. Allein in den ersten drei Monaten 2015 erlebte das Land genauso viele Anschläge wie im gesamten Jahr 2014.

Am Samstag erschossen Terroristen auf dem Sinai zwei Richter und einen Staatsanwalt, die sich in El-Arish auf dem Weg zum Gericht befanden. Am Sonntag ließ die Justiz in Kairo sechs Männer hinrichten, die von einem Militärgericht zum Tod verurteilt worden waren– obwohl zwei von ihnen zum Zeitpunkt der ihnen zur Last gelegten Terroranschläge bereits im Gefängnis saßen.

Interner Machtkampf

Die bizarre Härte des Mursi-Urteils und der endgültige Verkündigungstermin 24 Stunden vor Sisis geplantem Deutschland-Besuch deuten aber auch darauf hin, dass sich die Konflikte innerhalb des Machtkartells von Kairo verschärfen. Denn mit ihrem Agieren untergräbt die Justiz demonstrativ die Bemühungen al-Sisis, Ägypten in Europa und den USA wieder salonfähig zu machen.

Auch hat der Präsident inzwischen in zahlreichen Interviews versprochen, sich für die Haftentlassung junger Demokratieaktivisten einzusetzen, ohne dass tatsächlich etwas geschieht. Zudem häufen sich in letzter Zeit in auffälliger Weise polizeikritische Berichte in den bislang handzahmen und regimetreuen Medien.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.05.2015)

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