Eine Rote Karte für Polens Regierung

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Mit Andrzej Duda wird ein unbeschriebenes Blatt neuer Präsident Polens. Klar ist vorerst nur Eines: Der 43-jährige, konservative und enorm bürgernahe Jurist wurde von Oppositionsführer Kaczyński positioniert.

Der Jubel bei Polens rechtsnationaler Opposition war in der Wahlnacht so groß wie seit dem Wahlsieg Lech Kaczyńskis über Donald Tusk bei der Präsidentschaftswahl vor zehn Jahren nicht mehr. Warschaus Börse jedoch reagierte mit Schockwellen: Der Börsenindex WIG20 brach um 1,94 Prozent ein. Der Zloty gab gegenüber dem US-Dollar und Schweizer Franken massiv nach.

Am Pfingstmontagabend bestätigten sich erwartungsgemäß nach Auszählung von 90 Prozent der Stimmen die niederschlagenden Exitpolls für den rechtsliberalen Amtsinhaber Bronisław Komorowski: Andrzej Duda, bürgerlich-konservativer Kandidat der Partei für Recht und Gerechtigkeit (PIS), gewann demnach mit 52,5 Prozent der Stimmen gegen den regierenden, der Bürgerplattform (PO) nahestehenden Komorowski (47,5%).

„Ich will, dass man in fünf Jahren sagt, dass Duda der Präsident aller Polen ist“, hatte der 43-jährige Jurist in der Wahlnacht den Polen versprochen. Am Morgen nach seinem Sieg verteilte der sich bürgernah gebende Duda an einer Warschauer U-Bahn-Station Autogramme und Kaffee.

Doch wer der „nette Kerl von nebenan“ ist, weiß auch in Polen außer seiner Familie keiner. Dudas Mitarbeit in der Präsidialkanzlei von Lech Kaczyński machte ihn in den Augen dessen Zwillingsbruders, des Oppositionsführers Jarosław Kaczyński, zum idealen Kandidaten für einen Wahlkampf, der zu Beginn für die PIS verloren schien: Amtsinhaber Komorowski erfreute sich da einer Zustimmung von über 70 Prozent.

Meister der „Good Vibrations“

Dies hat jedoch der fünfmonatige Wahlkampf radikal geändert. Viele Polen scheinen Duda schlicht für seine aktive, engagierte Wahlkampagne belohnt zu haben. Der zuvor nur Insidern bekannte Jurist aus Krakau arbeitete sich zum neuen Politstar empor. Dabei verzichtete Duda auf die meisten Leibthemen Kaczyńskis, etwa auf das angebliche Attentat auf das Flugzeug seines Zwillingsbruders (der im April 2010 bei einem Absturz über Russland starb). Duda bot stattdessen mit einem Reigen völlig illusorischer Versprechungen sozusagen „good vibrations“. Immer wandte er sich den Sorgen des kleinen Mannes zu. So will er die Anhebung des Rentenalters rückgängig machen, Steuern senken, das unterfinanzierte Gesundheitssystem verbessern, kinderreichen Familien mit monatlich umgerechnet 120Euro pro Kind helfen. Bürgernah ist auch Dudas Versprechen, Volksinitiativen und Bürgerreferenden zuzulassen.

Polen ist müde und satt

Einem solchen Ansinnen hatte sich Komorowski in seinen fünf Amtsjahren widersetzt. Erst nach der überraschenden Niederlage in der ersten Runde setzte er, wenig überzeugend, schleunigst ein Referendum über eine Wahlgesetzesreform aus. Das aber nahm ihm in den Augen einer Mehrheit seine letzte Glaubwürdigkeit.

Der Wahlausgang ist nicht nur eine Rote Karte für die Regierung, er zeigt auch, dass nach acht Jahren rechtsliberaler Regierung von Donald Tusk und Eva Kopacz Polen müde und satt ist. Der Wohlstand in den Großstädten ist klar zu sehen, ausgeschlossen davon sind jedoch weite Teile des Landes: Dort bekam Duda mit Abstand die meisten Stimmen; zudem stimmten 60Prozent der 18- bis 29-Jährigen für ihn. Wie sich Dudas Präsidentschaft real auswirkt, muss sich indes erst zeigen. Gemäß Verfassung ist der Präsident nur für Außen- und Verteidigungspolitik verantwortlich. Durch sein Vetorecht hat er jedoch mehr Macht als viele seiner europäischen Pendants. Außenpolitisch positionierte sich Duda ähnlich wie Komorowski und stand für enge Zusammenarbeit mit EU und Nato ein. Die in der PIS und vor allem bei Kaczyński beliebten EU-skeptischen Töne fehlten aber bei Duda. Der designierte neue Präsident betonte einzig, Polen müsse seine Identität auch in der EU wahren und seine Interessen verfolgen.

Aufwind für PIS-Opposition

Eines ist indes sicher: Der Erfolg Dudas bedeutet Aufwind für die PIS bei der Parlamentswahl im Herbst. Der Wahlkampf hat schon begonnen: Am Montag kündigte Kaczyński an, Premier werden zu wollen. Für das nach dieser üblen Niederlage angeschlagene Regierungslager rechnen Politologen bereits mit einem Zerfall der PO. Gut möglich ist, dass sich auf die Parlamentswahl hin Teile der Liberalen der neuen Formation des Rockmusikers Kukiz anschließen, um ihre Abgeordnetensitze zu retten. Bis August bleibt Komorowski indes im Amt. Dann beginnen fast drei Monate Kohabitation mit Duda.

AUF EINEN BLICK

Polens amtierender Präsident, Bronisław Komorowski, hat bei der Stichwahl am Wochenende gegenüber seinem Herausforderer verloren: Der bürgerlich-konservative Andrzej Duda (Partei für Recht und Gerechtigkeit, PiS) gewann laut ersten Auszählungen mit etwa 52,5 Prozent der Stimmen gegen den rechtsliberalen Komorowski.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.05.2015)

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