Mazedonien: "Es gibt keine Korruption auf höchster Ebene"

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Mazedoniens Premier Gruevski behauptet, die Tonbänder, auf denen die Bestechlichkeit seiner Regierung zutage tritt, seien manipuliert. An Rücktritt denkt er nicht, auch nicht an eine Koalition mit der Opposition. Von der EU ist er enttäuscht.

Mazedonien befindet sich in einer tiefen politischen Krise. Seit einem Jahr boykottiert die Opposition das Parlament, jeden Tag gibt es Proteste. Wären Sie bereit zurückzutreten, um einen Neuanfang zu ermöglichen?

Nikola Gruevski: Von außen sieht alles anders aus. Es protestieren vielleicht 50 bis 100 Leute vor dem Parlament. Die meisten arbeiten in der Stadtverwaltung, in der Herr Zoran Zaev (Chef der oppositionellen Sozialdemokraten; Anm.) Bürgermeister ist.

Es fanden doch auch Massenproteste statt.

Zu groß sollte man das auch nicht machen. Vergangenen April hat meine Partei einen Wahlsieg errungen. Es gab keine Unregelmäßigkeiten. Trotzdem wollte der Chef der Sozialdemokraten die Wahl nicht anerkennen und forderte eine Expertenregierung. Ende August wurde mir von zehn bis 15 Leuten zugetragen, dass Zaev herumerzähle, er habe aufgezeichnete Telefongespräche, mit denen er mich und meine Partei erpressen werde.

Um was zu erreichen?

Eine Expertenregierung. Mitte September bekam ich eine SMS von Zaev, in der er mich um ein Treffen bat. Ich schaltete die Behörden ein, denn ich befürchtete eine Erpressung. Der Staatsanwalt ordnete an, meine Gespräche mit Zaev aufzunehmen. Zaev teilte mir mit, er besitze Telefonmitschnitte und sei bereit, das Material zu nützen. Aber das sei nicht gut für das Land, deshalb solle es eine Expertenregierung geben. Ich wurde erpresst.

Woher kamen die Tonbänder?

Zaev sagte mir, von einem ausländischen Geheimdienst.

Von welchem Geheimdienst?

Das sagte er nicht. Die Behörden haben mittlerweile ermittelt, wer in die Operation verwickelt war. Der Ex-Chef des Nachrichtendienstes aus der sozialdemokratischen Ära, Zoran Verusevski, arbeitete mit zwei Beamten des Innenministeriums zusammen. Die beiden Personen haben gestanden, dass sie von Verusevski im Auftrag eines ausländischen Nachrichtendienstes gegen Geld für vier Jahre engagiert worden seien. Den Namen des Geheimdienstes nannte Verusevski nie.

Lassen Sie uns über den Inhalt der Telefonate sprechen. Die Bürger sind zornig, weil darin Korruption, Machtmissbrauch, Wahlfälschungen und sogar die Vertuschung eines Mordfalls zutage treten.

Die Aufzeichnungen wurden geschnitten und editiert, um die Realität zu verzerren.

Glauben Sie, die Tonbänder wurden manipuliert und gefälscht?

Absolut. Zaev stellte die redigierten Aufzeichnungen bei seiner Pressekonferenz in einen falschen Kontext.

Wollen Sie wirklich abstreiten, dass es Korruption auf höchster Ebene in Ihrem Land gibt?

Ich glaube nicht, dass es Korruption auf höchster Ebene gibt, aber das ist Angelegenheit der Gerichte.

Zurück zur Eingangsfrage. Mazedonien ist hochgradig polarisiert. Wäre Ihr Rücktritt da nicht hilfreich?

Unser Mandat läuft vier Jahre. Eines ist schon vorbei, wir haben noch drei. Wir stimmten trotzdem Neuwahlen zu, boten sie schon für Ende Juli an, aber die Opposition will lieber bei Wahlen im April zu den Urnen gehen. Die Bürger sollen entscheiden, wer in der Regierung und in der Opposition sein soll.

Ihre Partei ist in Umfragen in Führung. Sie haben einen Vorteil, weil die Medien im Allgemeinen Sie unterstützen.

Das Problem in Mazedonien ist nicht ein Mangel an Medienfreiheit. Das Problem ist: Die meisten Medien sind parteiisch, unterstützen entweder die Opposition oder die Regierung. Nur wenige sind neutral.

Die EU-Kommission hat Ihnen angedroht, im Herbst keine Empfehlung mehr für die Eröffnung von Beitrittsverhandlungen zu geben, wenn Sie die Krise nicht lösen.

Das stimmt, aber von den bisherigen Empfehlungen hatten wir nicht viel. Es kam zu keinen Verhandlungen. Trotzdem: Eine Nichtempfehlung der Kommission wäre für uns ein Schritt zurück. EU-Kommissar Hahn hat uns sehr geholfen. Am 2. Juni unterzeichneten wir ein Abkommen, das Wahlen im April vorsieht. Dadurch wird die Lösung kommen – und durch eine Untersuchungskommission im Parlament. Unser Interesse ist es, kristallklare Wahlen zu haben.

Wären Sie bereit, eine Große Koalition mit Zaev zu bilden?

Wir stellen 62 Abgeordnete, das sind 51 Prozent. Unser albanischer Koalitionspartner hat 20 Abgeordnete. Das ergibt eine Zweidrittelmehrheit.

Manche befürchten, dass in Mazedonien wieder ethnische Konflikte explodieren könnten. Wie real ist diese Gefahr?

In Mazedonien gibt es kein Potenzial für einen ethnischen Konflikt. Die Albaner sind voll integriert, sogar Teil der Regierung. Auch in Kumanovo brach neulich kein interethnischer Konflikt auf; das war ein 30-stündiger Kampf zwischen mazedonischen Sicherheitskräften und fünf kriminellen Terroristen, die aus unserem Nachbarland Kosovo kamen.

Athen akzeptiert nach wie vor nicht den Staatsnamen Mazedonien und blockiert deshalb die Aufnahme in Nato und EU. Gibt es irgendwelche Fortschritte mit der neuen griechischen Regierung?

2008 hatten wir alle Kriterien erfüllt, um der Nato beizutreten. 2009 empfahl die EU-Kommission bereits die Aufnahme von Verhandlungen. Die EU-Mitglieder unternahmen zu wenig, um einen Weg dafür zu finden, dass Mazedonien vorankommt. Ich bin sicher: Hätten die Verhandlungen mit der EU schon begonnen, hätten wir manches Problem nicht.

Sind Sie enttäuscht, dass die EU Athen nicht stark genug unter Druck gesetzt hat?

Ja. Mein Gefühl ist: Die EU ist zu 100 Prozent auf die Griechenland-Krise konzentriert und hat keine Kapazität für anderes.

Waren Sie in Kontakt mit dem griechischen Premier Tsipras?

Ich rief ihn nach seinem Wahlsieg an und bot ihm direkte Gespräche an. Er sagte, wir werden uns treffen, wenn die Zeit gekommen ist, und wiederholte dann dieselben Positionen wie die Vorgängerregierung.

Nationalistische Töne in Mazedonien und die Errichtung von Alexander-Statuen dürften auch kontraproduktiv sein.

Es sind zwei Statuen, die mit der griechischen Geschichte verbunden sind. Griechenland hat uns provoziert, jahrelang behauptet, wir seien ein künstlicher Staat, keine Nation. Das hat dazu beigetragen, dass wir Schritte setzten, um zu zeigen, dass das nicht wahr ist.

Sie sind seit 2006 im Amt. Mazedonien ist immer noch nicht Mitglied der EU und der Nato, die Arbeitslosigkeit hoch. Würden Sie im Rückblick manches anders machen?

Strategisch nicht. 2006 lag die Arbeitslosigkeit bei 38 Prozent, heute ist sie noch immer hoch, beträgt aber nur noch 27 Prozent.

300.000 Menschen haben in den vergangenen fünf Jahren das Land verlassen. Da geht die Arbeitslosigkeit natürlich zurück.

Wir haben 130.000 Jobs geschaffen, die niedrigsten Steuern in der EU und ausländische Investoren angezogen. Die Staatsschuld ist moderat, 36 Prozent des BIP, niedriger als in der EU. Alle Zahlen zeigen, dass wir eine gute Wirtschaftspolitik machen. Und deshalb stimmen die Bürger für uns.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.06.2015)

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