Schwerer Schlag gegen Tunesiens Tourismus

Tunesien
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Die tunesische Regierung will nach dem Attentat auf den Hotelstrand in Sousse massiv gegen Extremisten vorgehen. Die IS-Attentäter haben es auf die Achillesferse des Landes abgesehen – auf die Einnahmequelle Tourismus.

Er kam zur Mittagszeit in kurzen Hosen und T-Shirt, unter dem Arm trug er einen Sonnenschirm. Es sah so aus, als wollte er sich gleich einen Platz zwischen den anderen Gästen des Hotels Imperial Marhaba am Strand suchen. Aber der 23-jährige junge Mann, mit schwarzen langen Haaren und Bart, war nicht zum Baden, sondern zum Morden gekommen. Er zieht eine Kalaschnikow aus seinem Sonnenschirm und beginnt wahllos auf die Touristen zu schießen. „Alles, was ich sah, war ein Gewehr und ein Sonnenschirm, der zu Boden fiel“, sagte Ellie Makin, eine britische Touristin. „Dann fielen die Schüsse.“ Unmittelbar ihr gegenüber werden mehrere Urlauber auf ihren Liegen tödlich getroffen. Danach bricht Panik aus, jeder läuft verzweifelt um sein Leben. 39 Menschen schaffen es nicht, sich zu retten. Sie werden vom Attentäter kaltblütig ermordet. Eine junge Frau überlebt nur, weil sich ihr Verlobter schützend vor sie stellte. Er wurde von drei Kugeln getroffen und liegt nun auf der Intensivstation.

Viele Gäste, die im Hotel geblieben waren, dachten beim Lärm der Schüsse, es könnte ein Feuerwerk sein. „Ich ging in die Lobby, um herauszufinden, was los sei“, erzählte Olivia Leathley. Sie stieß auf eine Frau, deren Mann einen Bauchschuss erhalten hatte und furchtbar blutete. „Ich liebe dich, ich liebe dich“, sagte der Ehemann zu seiner Frau, bevor er starb. Leathley hätte ihre Neugierde beinahe mit dem Leben bezahlt. Denn der Attentäter war auf der Suche nach weiteren Opfern und bewegte sich vom Strand zum Swimmingpool und danach zur Rezeption. Der Täter lachte laut und machte Witze, während er auf die überwiegend aus Europa stammenden Touristen schoss. Die Polizisten kamen erst 30 Minuten, nachdem die ersten Salven abgefeuert worden waren und töteten den Attentäter. Vielleicht hätte der Tod von Menschen verhindert werden können, wenn die Exekutivbeamten eher eingetroffen wären. Die Opfer kommen aus insgesamt sechs Ländern: Großbritannien, Deutschland, Frankreich, Belgien, Irland und Tunesien.

Die Terrororganisation Islamischer Staat (IS) hat sich noch Freitagnacht zu diesem brutalen Massaker bekannt. Im Internet ließ sie eine entsprechende Erklärung zusammen mit einem Foto des Mordschützen verbreiten. Sein Name wurde dort mit Abu Yahya al-Qayrawani angegeben. Es muss ein Kriegsname sein, den die Terrormiliz üblicherweise ihren Kämpfern gibt. In Wirklichkeit soll er mit bürgerlichem Namen Seifeddine Rezgui heißen, wie Tunesiens Behörden am Samstag bekannt gaben. Er soll aus Gaafour, einer Stadt der Region Siliana in Zentraltunesien kommen und an der Universität von Kairouan Luftfahrt studiert haben. Den Polizeibehörden sei Rezgui bisher nicht aufgefallen. „Er ist auch noch nie ins Ausland gereist“, sagte der tunesische Premierminister Habib Essid. Rezgui scheint damit in Tunesien radikalisiert worden zu sein. Das unterstreicht die Gefahr, die von der heimischen Islamistenszene ausgeht.

»Das ist ein barbarisches Verbrechen.« Die Terrorgruppe bezeichnete Rezgui als „Soldaten des Kalifats“, der die Feinde der Jihadistengruppe ins Visier genommen und in ihrem „Lager der Unzucht, des Lasters und Gottlosigkeit“ getroffen habe. Die meisten der Getöteten seien Staatsbürger der Länder, „die in einer Allianz einen Kreuzzug gegen das Kalifat führen“. Es ist der übliche, religiös verbrämte IS-Zynismus, mit dem der Tod von so vielen unschuldigen Menschen gerechtfertigt werden soll. Von einem „barbarischen Verbrechen“ sprach dagegen Scheich Ahmed al-Tayeb, der Leiter der al-Azhar Universität von Kairo, „das unter dem Deckmantel des Islam begangen wurde“. Al-Azhar ist die anerkannteste Institution des sunnitischen Islams.


Schwerer Schlag für Tunesien. Für Tunesien ist das Attentat ein neuer, schwerer Schlag. Es ist der zweite Anschlag innerhalb von nur drei Monaten. Im März hatten Männer der IS-Terrormiliz das Bardo-Museum in Tunis gestürmt und 22 Menschen getötet. Die Tourismusbranche ist eine der wichtigsten Sektoren der Wirtschaft. Sie hat einen Anteil von sieben Prozent am Bruttosozialprodukt des Landes. 400.000 Arbeitsplätze hängen direkt oder indirekt davon ab. Nach den Morden am Strand des Hotels Imperial Marhaba fliegen die Reiseveranstalter sämtliche Urlauber nach Hause. Thomson und First Choice fliegen 6400 Gäste aus. Fluggesellschaften wie Easyyet und Thomas Cook stellen zusätzliche Maschinen bereit, um ihre Kunden zurück in die Heimat zu bringen. Spätestens am Sonntag werden alle Hotels an der Ferienküste Tunesiens leer sein. Das Schlimmste aber für die Tourismusbranche ist, auf absehbare Zeit werden sie sich nicht wieder füllen. Sämtliche Reisen nach Tunesien wurden von den europäischen Firmen bis auf Weiteres abgesagt.

Neue Maßnahmen. Die von Tunesiens Premier Essid nach dem Anschlag verkündeten neuen Sicherheitsmaßnahmen werden daran nichts ändern. Vor den Hotels am Meer sollen nun Marineboote patrouillieren. Der Wachdienst in den Touristenorten soll verstärkt werden. Das dazu nötige Militärpersonal will man durch Einberufung von Reservisten erhalten. Soldaten sollen an allen „besonders gefährdeten Orten“ präsent sein. „So ein Attentat darf sich nie wieder ereignen“, sagte Essid. Im besonderen Fokus des neuen Maßnahmenkatalogs stehen Moscheen, die keine offizielle Genehmigung besitzen. Sie gelten als Orte der Radikalisierung. „Davon gibt es etwa 80, die Propaganda verbreiten und zu Terror aufrufen“, sagte der Premier. In einer Woche sollen sie alle geschlossen sein.

Das Attentat von Sousse hat Tunesiens Regierung zu einer harten Gangart gebracht. Es wurde auf schreckliche Weise deutlich, es geht ums Ganze. Will das Land, das als einziges positives Beispiel des Arabischen Frühlings gilt, als demokratischer Staat überleben, muss es etwas tun. Mehr als 3000 Tunesier kämpfen in Syrien, die meisten davon auf Seiten des IS. Auch im Nachbarland Libyen, das im Bürgerkrieg versinkt, sollen einige hundert Tunesier zu radikalen Gruppen gegangen sein. Sie kämpfen dort für einen islamistischen Staat. In der Grenzregion zu Libyen und Algerien kommt es immer wieder zu Gefechten der Armee mit Ansar al-Sharia, die den verhassten säkularen Staat Tunesien vernichten will. Die Grenzregionen werden nun zum militärischen Sperrgebiet.

Die Terrorgruppe IS wird weiter versuchen, Attentate auf Tourismuszentren auszuführen. Ihre Strategie ist klar: Man will die Ökonomie schwächen und Wirtschaftskrise und Arbeitslosigkeit forcieren. Ihr Ziel sind Jugendliche, die keine Perspektive mehr sehen. Je mehr Krise, desto größer sind die Chancen, dass sich die Terrormiliz als ernsthafte gesellschaftliche Alternative präsentieren kann. Vor einem Jahr hatte IS-Führer Abu Bakr al-Baghdadi das Kalifat zu Beginn des Fastenmonats Ramadan in der irakischen Stadt Mossul ausgerufen. Das Kalifat geht nun mit Massenmord ins zweite Jahr.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.06.2015)

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