Viele Urlauber sind bereits abgereist, einige zeigen aber Solidarität nach dem verheerenden Anschlag. Die Menschen in Sousse demonstrieren gegen den Terror, Tunesiens politische Parteien suchen den Schulterschluss.
Es ist eine surreale Szene am Strand des Imperial Marhaba Hotel in Sousse. Die meisten können nicht begreifen, was hier geschehen ist. Das Areal mit den Badeliegen ist mit einem gelbem Band abgesperrt. Einige Urlauberfamilien wandern im Bade-Outfit herum, Touristen und Tunesier legen Blumen nieder, manche bekreuzigen sich. Mitten in den Blumengebinden steckt ein Zettel: „Warum?“ Warum erschoss ein tunesischer Student hier 38 Menschen?
Die meisten der Hotelgäste sind abgereist. Ein Pärchen aus dem Sauerland sitzt trotzig am Pool. Raimond Mensebach und seine Gefährtin hatten Glück: Zum Zeitpunkt des Anschlags waren sie auf einem Ausflug. Als sie zurückkamen, sahen sie, wie die Leichen aus ihrem Hotel getragen wurden. Abreisen wollen sie nicht, obwohl der Reiseveranstalter das angeboten hatte. „Wir wollen auch ein Zeichen setzen, dass wir uns nicht von diesem Idioten unterkriegen lassen. Die dürfen ihr Ziel nicht erreichen“, sagt Mensebach.
Der „Idiot“, das war der 23-jährige Student Seifeddine Rezgui, der völlig unauffällig gewesen war, bevor er am Freitag mit einem Sturmgewehr am Strand von Sousse ein Blutbad anrichtete. Amir Ben Hajj Hasein erzählt, dass sich die tunesischen Sicherheitskräfte kein Ruhmesblatt verdient hätten. Etwa fünf Minuten, nachdem der Attentäter begonnen hatte, am Pool wild um sich zu feuern, seien zwei bewaffnete Mitglieder der Nationalgarde aufgetaucht. Erst nach Aufforderung der Anwohner hätten sie sich zum Strand vorgewagt, einer habe sich hinter den Badegästen versteckt. Und als dann eine Granate explodierte, sei ein Polizist davongerannt. Währenddessen hätten Hotelpersonal und Anrainer versucht, so viele Urlauber wie möglich in Sicherheit zu bringen.
Der Attentäter sei derweil vom Tatort spaziert, von Anrainern mit Steinen und allem beworfen, was ihnen gerade in die Hände kam. Er versicherte ihnen, sie zu verschonen. Laut Augenzeugen hatte er es nur auf ausländische Touristen abgesehen. Schließlich schoss ihm einer der Polizisten in den Kopf.
Aus Schockstarre erwacht
Es dauerte eine Weile, bis Tunesien aus seinem Albtraum und seiner Schockstarre aufwachte. Am Samstag nach Einbruch der Dunkelheit und nach dem Fastenbrechen im Ramadan versammelten sich die Menschen in Sousse zu Demonstrationen in der Innenstadt, aber auch vor dem außerhalb gelegenen Hotel. „Wir sind einig gegen den Terrorismus“, riefen sie und sangen die Nationalhymne.
Vertreter aller politischen Parteien und der Zivilgesellschaft demonstrierten den Schulterschluss. „Wir müssen alle zusammenstehen“, sagte der Arbeitsminister Zied Ladhari im Gespräch mit der „Presse“. „Die Terroristen hassen unser Projekt, das einzig demokratisch erfolgreiche in der arabischen Welt.“
„Wir haben eine Schlacht verloren, aber den Krieg gegen den Terror werden wir am Ende gewinnen“, glaubt er. „Aber dafür brauchen wir einen sehr langen Atem.“ Ladhari steht voll hinter der Entscheidung der Regierung, 80 Moscheen zu schließen, die als Hochburgen der Radikalen gelten.
Der Bürgermeister von Sousse fordert stärkere Sicherheitsmaßnahmen und vor allem eine effektivere Geheimdienstarbeit. Die Französischlehrerin Schiraz Schedli, die in eine tunesische Fahne eingewickelt ist, drängt auf ein Antiterrorgesetz. Doch das Wichtigste sei, betont sie: „Wir müssen auf die Straße gehen und zeigen, dass wir vor denen keine Angst haben.“
("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.06.2015)