Ukraine: Georgischer Reformsturm über Kiew

Police officers attend an oath-taking ceremony, which started up the work of a new police patrol service, in Kiev
Police officers attend an oath-taking ceremony, which started up the work of a new police patrol service, in Kiev(c) REUTERS (VALENTYN OGIRENKO)
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Vertraute des früheren georgischen Präsidenten Saakaschwili nehmen wichtige Posten in der Regierung ein. Können sie den von der Bevölkerung geforderten Neubeginn anstoßen?

Kiew/Wien. Nach der Aktion schrieb Davit Sakvarelidze auf Facebook: „Ein hoher Rang in der Generalstaatsanwaltschaft schützt nicht vor Verantwortung für Bestechlichkeit. Es gibt keine Unantastbarkeit.“ Am Wochenende hatte die Spezialeinheit des ukrainischen Geheimdienstes Alpha zwei hochrangige Mitarbeiter der Generalstaatsanwaltschaft bei einer Geldübergabe festgenommen. Die beiden Männer und mit ihnen verbündete Beamte sollen einen Unternehmer aus dem Kiewer Gebiet unter Druck gesetzt und zur Zahlung von hohen Geldbeträgen gezwungen haben. Sakvarelidze, 34-jähriger hochrangiger Beamter der Generalstaatsanwaltschaft und früherer Vize-Generalstaatsanwalt Georgiens, ist der Mastermind hinter der Operation, für die er viele „Likes“ und Lob bekam.

Sakvarelidze ist einer von mehreren Georgiern, die heute in der Ukraine Spitzenämter innehaben. Die Südkaukasusrepublik gilt in der Ukraine als Reformvorbild. In die georgischen Expats setzt man große Hoffnungen. Der bekannteste Georgier ist Michail Saakaschwili, der seit Ende Mai Gouverneur des Gebiets Odessa ist. Mit seiner Standpauke für die Praktiken der örtlichen Staatsanwaltschaft, die er des Bandentums bezichtigte, zeigte er publikumswirksam, dass er gewisse Verhaltensweisen nicht tolerieren würde. „Mischa“, der sich in der Ukraine auf Russisch verständigt, rotiert derzeit durch Odessa. Er nimmt an Fahrradrennen teil, fährt mit der Marschrutka durch die Stadt und kündigte an, mit Drogenhandel und Korruption aufzuräumen.

Polizeistreife als Reformtest

Einen weiteren wichtigen Posten hat Eka Zguladze inne. Sie ist ukrainische Vizeinnenministerin, die unter Saakaschwilis Präsidentschaft ebenfalls das Innenressort verantwortete. Ihr Aufgabengebiet: die Polizeireform. Vor ein paar Tagen startete die neue Polizeipatrouille auf Kiews Straßen nach georgischem Vorbild: 2000 junge Polizisten, größtenteils neu angeheuert, gut bezahlt und in schicken dunklen Uniformen, sollen die bisherige Verkehrspolizei ablösen. Die Verkehrspolizisten stehen im Ruf, äußerst korrupt zu sein; fast jeder Autofahrer hat Bekanntschaft mit den Beamten gemacht, die an Ausfallstraßen stehen und von oben den Auftrag haben, einen bestimmten Betrag an „Einnahmen“ einzutreiben. Das soll sich ändern. „Der Sinn der neuen Polizei ist, den Menschen zu dienen“, erklärte Zguladze in einem Interview. Die georgische Polizeireform galt als erfolgreich, da sie mit Kleinkorruption erfolgreich aufräumte.

Nach Kiew sollen Ende August die Großstädte Lwiw und Odessa folgen, bevor der Dienst im ganzen Land eingeführt wird. In den ersten Tagen nach der Einführung der Patrouille waren die Gehsteige des Kreschtschatik, der Prachtstraße im Zentrum Kiews, von den sonst dort geduldeten parkenden Karossen geräumt. Die Bürger reagierten begeistert: „Wenn das so ist, dann hat sich allein aus diesem Grund die Gründung der Streife gelohnt“, schrieb der Journalist Iwan Jakowina auf Facebook.

Zguladze kündigte auch Transparenz im Bereich der Dokumentenausgabe an. So ist etwa die Anmeldung von Autos ohne Bestechung kaum möglich. Auch Reformen im Bereich der Spezialkräfte sollen folgen. Das Ministerium solle von Menschen „gesäubert“ werden, „die keine Waffen tragen sollten“, erklärte Zguladze.

Erfolg wichtiger als Absahnen

Ob die Arbeit der ausländischen Experten langfristige Erfolge zeigt, ist noch nicht klar. Klar ist aber, dass die Kiewer Regierung Reformfortschritte so dringend benötigt wie die Luft zum Atmen. Der Vorteil der ausländischen Spezialisten, sagt der politische Analyst Wolodymyr Gorbatsch vom Zentrum für Euro-Atlantische Zusammenarbeit in Kiew, liege darin, dass sie auf lokale Befindlichkeiten keine Rücksicht nehmen müssten. „Für sie bemisst sich ihr internationales Standing am Erfolg der Reformen“, sagt er, „und nicht an ihrer persönlichen Bereicherung.“

Entscheidend wird sein, ob sich die Einzelkämpfer gegen bestehende Netzwerke und gegenläufige Interessen durchsetzen können. Auf einer Konferenz in Kiew berichtete der aus Litauen stammende Handelsminister Aivaras Abromavičius unlängst, dass er bei seinem Plan, Staatsunternehmen nach modernen Managementprinzipien zu führen, mit viel internem Gegenwind zu kämpfen habe. Viel hängt von der Rückendeckung durch die Staatsspitze ab. Der Erfolg des Reformexports ist also nicht garantiert. Angesichts der Beherztheit der Expat-Experten fragen sich immer mehr Ukrainer, was die einheimischen Spitzenbeamten eigentlich daran hindert, ähnlich stürmisch loszulegen.

AUF EINEN BLICK

Mehrere Angehörige der früheren georgischen Regierung unter Ex-Präsident Michail Saakaschwili sollen ihren Reformerfolg nun in der Ukraine fortsetzen. Saakaschwili wurde Ende Mai zum Gouverneur des Gebiets Odessa ernannt. Eka Zguladze ist als Vizeinnenministerin für die Polizeireform zuständig. Davit Sakvarelidze ist hoher Beamter in der Generalstaatsanwaltschaft. Der aus Georgien stammende Gesundheitsminister, Alexander Kwitaschwili, reichte vergangene Woche seinen Rücktritt ein.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.07.2015)

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