Ukraine: "Der lokale Kommandant macht, was er will"

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Alexander Hug, Vize-Chef der OSZE-Beobachtermission in der Ukraine, spricht über die Behinderungen seiner Mitarbeiter im Kriegsgebiet und erklärt, warum fehlende Kommandostrukturen den Konflikt befeuern.

Die OSZE-Beobachtermission soll weiter aufgestockt werden. Wie frei können Sie sich im Krisengebiet bewegen?

Alexander Hug: Derzeit ist unsere Bewegungsfreiheit eingeschränkt, etwa an der Grenze zwischen Ukraine und Russischer Föderation im Gebiet Luhansk. Dort bekommen wir systematisch keinen Zugang, es handelt sich um einen Grenzstreifen von fünf bis zehn Kilometern Breite.

Wer sind die Leute, die Ihnen die Beobachtung der Grenze verunmöglichen?

Bewaffnete der so genannten Luhansker Volksrepublik.

Mit welchen Argumenten werden Sie abgewiesen?

Es wird einfach Waffengewalt angedroht: Wenn ihr weiter geht, wird geschossen. Oder es wird behauptet, dass wir ein bestimmtes Papier benötigen – was nicht stimmt, denn wir haben Zugang ohne spezielle Autorisierung. Auf Nachfrage in Luhansk wurde mir gesagt, dass das auf höchster Ebene entschieden werden muss, bei Mr. Plotnitskij (dem "Präsidenten" der Luhansker Volksrepublik, Anm.).

Was können Sie gegen diese Behinderungen tun?

Wir erwähnen das permanent, in Gesprächen vor Ort und in Berichten. Die Parteien wissen, dass sie die Umsetzung des Friedensabkommens erschweren.

Um eine Verhaltensänderung zu bewirken, müssten Sie vermutlich deutlicher werden.

Wir können nicht viel deutlicher werden, als sagen: Uns wird der Zugang systematisch verwehrt. Damit ist alles gesagt.

Ist ihre Arbeit nicht eine Mission Impossible?

Nein, das kann man so nicht sagen. Man muss verstehen, dass Waffenstillstandsvereinbarungen dieser Größe nicht über Nacht Frieden bringen. Es braucht Zeit, bis beide Seiten Vertrauen zueinander gewinnen. Wenn man die Lage heute mit Anfang Februar vergleicht, so hat es eine Befriedung gegeben.

Damals haben die Separatisten gesagt, dass für sie die Stadt Debaltsewo nicht im Minsker Abkommen steht.

Die Stadt wurde von den Rebellen eingenommen – ein Verstoß gegen das Abkommen. Das haben wir auch festgehalten. Man muss verstehen, dass die Special Monitoring Mission (SMM) nicht an der Umsetzung des Abkommens beteiligt ist. Die Konfliktpartner müssen es umsetzen. Wir begleiten diesen Prozess. Wir stellen die Fakten dar, so wie sie sind. Die Schlussfolgerungen müssen andere ziehen.

Zivilisten im Konfliktgebiet sind unzufrieden mit der SMM, sie sehen in der OSZE keine Hilfe. Verstehen Sie das?

Die Mission setzt keine Projekte um, wir liefern keine humanitäre Hilfe, wir haben keine Spitäler, wir unterstützen die Inlandsvertriebenen nicht direkt, wir stehen nur da und berichten. Das ist schwierig zu akzeptieren. Nicht nur für die Zivilisten, sondern auch für meine Leute. Wenn gekämpft wird, können wir feststellen, wer kämpft und mit welchen Waffen. Das ist ein Dilemma, aber das ist unser Mandat. Wir haben auch ein Dialogmandat, da versuchen wir Leute an einen Tisch zu bringen, etwa um lokale Bedingungen zu verbessern. Gerade eben bemühen wir uns um die Wiederherstellung der Wasserversorgung bei Horliwka, das ist wichtig für Zivilisten.

Es gibt Stimmen, die fordern einen UN-Einsatz, ein stärkeres Mandat. Können Sie dem etwas abgewinnen?

Jede zusätzliche Initiative, die der Ukraine hilft, ist willkommen. Die OSZE ist dort, um der Ukraine zu helfen. Wenn eine andere Initiative besser helfen kann, sollte das willkommen sein. Aber eine UN-Truppe hätte ein ganz anderes Mandat. Wir sind Beobachter, wir erzwingen keinen Frieden. Das eine schließt das andere nicht aus.

Kommen wir zu den Brennpunkten an der Kontaktlinie: Schirokine, der Flughafen Donezk, Awdiiwka. Wie kommt es zu den lokalen Eskalationen?

Der Konflikt hat immer schon an diesen Brennpunkten gewütet. Es gab nie eine hunderte Kilometer lange Frontlinie. Die Kontaktlinie ist über weite Strecken befriedet. Die Konfliktherde entstehen dort, wo sich die Konfliktpartner zu nahe kommen. Ein Schuss führt zum anderen: Es fängt meist an mit Schusswaffen an, geht über zu Mörsern, dann folgen schwere Waffen. In Schirokine hat man gesehen: Sobald sich die Separatisten auf die Minsker Linie zurückzogen, ist es ruhig geworden. Jetzt sind dort weitere Schritte nötig, um die Lage zu stabilisieren.

Welche Rolle spielen im Konflikt die schwer kontrollierbaren Feldkommandanten?

In Awdiiwka sind wir auf einen Kommandanten des Rechten Sektors gestoßen, der uns den Zugang zu einem Beobachtungsposten verwehrt hat, obwohl wir zusammen mit ukrainischen Militärvertretern unterwegs waren! Auf DNR-Seite wurde mir einmal von höchster Stelle versichert, dass ich nach Schirokine fahren kann. Aber der lokale Kommandant macht was er will Wenn ich dem sage, (die Donezker Separatisten-Politiker, Anm.) Denis Puschilin, Andrej Purgin und Eduard Basurin haben mir ihr OK gegeben, dann lacht er nur! Es sei denn, die Herren kommen selbst, dann funktioniert es normalerweise.

Die Feldkommandanten haben also wenig Interesse an der Umsetzung von Minsk.

Ich würde nicht sagen wenig Interesse, sondern andere Interessen. Und weil die Kommandostruktur nicht klar ist, erreichen die Zielsetzungen aus der Hauptstadt nicht den letzten Mann im Freiwilligenbataillon. Der Mangel eines strikten Kommandos auf beiden Seiten ist eine der Hauptursachen dafür, dass sich der Waffenstillstand nicht durchsetzen lässt und der Konflikt immer wieder aufflammt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.07.2015)

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