Atomabkommen: Der lange Arm der Mullahs im Nahen Osten

A staff removes the Iranian flag from the stage after a group picture with foreign ministers and representatives during the Iran nuclear talks at the Vienna International Center in Vienna
A staff removes the Iranian flag from the stage after a group picture with foreign ministers and representatives during the Iran nuclear talks at the Vienna International Center in Vienna(c) REUTERS (CARLOS BARRIA)
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Das Wiener Atomabkommen schürt Hoffnungen. Kann die die Islamische Republik helfen, die Kriege in Syrien und im Jemen zu beenden?

Kairo. Die Gegensätze hätten nicht krasser ausfallen können. Zehntausende junge Leute feierten in Teheran bis tief in die Nacht. „Der Belagerungsring ist gesprengt“, titelte die Zeitung „Ghanoon“. Das reformoffene Blatt „Etemad“ kürte gar die „Diplomatische Revolution des 14.Juli“. Bei den arabischen Nachbarn am Persischen Golf indes herrschte Katerstimmung. Man hoffe, der Iran werde seine Ressourcen künftig dazu nutzen, den Lebensstandard der Bevölkerung zu bessern, statt Unruhe in der Region zu stiften, erklärte schmallippig ein Regierungssprecher in Riad.

König Salman telefonierte wenig später mit US-Präsident Barack Obama, der erneut versuchte, die Sorgen des superreichen Potentaten mit dem Angebot neuer Waffenlieferungen zu zerstreuen. Schon heute ist Riads Militärbudget fünfmal so groß wie das von Teheran. Die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) geben für ihre knapp 1,4 Millionen Bürger immerhin noch um 50Prozent mehr Geld für Rüstung aus als die 78-Millionen-Nation auf der anderen Seite des Persischen Golfs. Und so reagierte Abu Dhabi etwas konzilianter und stellte dem Iran eine „wichtige Rolle in der Region“ in Aussicht, wenn das Land aufhöre, sich in die inneren Angelegenheiten des Irak, von Syrien, dem Libanon und Jemen einzumischen. Man hoffe nicht nur bei dem Atomvertrag auf eine neue Richtung, sondern auch beim Agieren des Iran im Nahen Osten. Dazu müsse Teheran künftig den „ehrlichen Wunsch zeigen, beim Löschen der Feuer zu helfen, die die Region verschlingen“.

Bis dahin jedoch ist es noch ein langer Weg. Seit mehr als drei Jahrzehnten herrscht Kalter Krieg zwischen Saudiarabien und der Islamischen Republik. Der Iran sieht sich als schiitische Vormacht in der Region, Saudiarabien als Hüter der heiligsten Stätten des Islam, Mekka und Medina, und damit als wichtigstes Zentrum des sunnitisch-arabischen Islam. Und so geraten die Erzrivalen an immer mehr Brennpunkten aneinander. In Syrien möchte Riad im sunnitischen Machtbündnis mit Ankara und Doha Bashar al-Assad stürzen. Der Iran dagegen mobilisiert die Hisbollah im Libanon, schickt eigene Elitesoldaten und versorgt Syriens alawitischen Diktator seit mehr als vier Jahren mit Waffen, Munition und Treibstoff. Auch hinter der Offensive der Houthis im Jemen erkennt das saudische Herrscherhaus die iranische Hand im Spiel, genauso wie beim Aufbegehren der Schiiten in Bahrain oder im Osten des eigenen Königreiches.

(C) DiePresse

Auch im Irak und Libanon beklagen die Saudis den persischen Einfluss. Umgekehrt ist in Teheran unvergessen, dass Riad Iraks Diktator Saddam Hussein im Golfkrieg von 1980 bis 1988 mit 25 Milliarden Dollar unter die Arme griff – ein Krieg, der mehr als eine halbe Million Iraner das Leben kostete.

Mit dem Islamischen Staat jedoch breitet sich heute eine Gefahr aus, die alle eingeschworenen Gegner gleichermaßen bedroht. Und so könnte nach dem Wiener Atomvertrag der Kampf gegen den IS bisher undenkbare Bündnisse stiften, zwischen dem Iran und seinen arabischen Rivalen, aber auch zwischen dem Iran, dem Westen und Russland. Iraks Premier, Haider al-Abadi, frohlockte bereits, die Atomeinigung mache den Weg frei für einen gemeinsamen Feldzug gegen den IS. Frankreichs Präsident, François Hollande, ging noch einen Schritt weiter und appellierte an seinen iranischen Amtskollegen, Hassan Rohani, jetzt auch den syrischen Bürgerkrieg beenden zu helfen. Denn mittlerweile sind weder der Iran und Russland noch Europa und die USA an einem chaotischen Kollaps des Assad-Regimes interessiert, der dem Islamischen Staat den Weg nach Damaskus ebnen und einen Genozid an den Alawiten auslösen könnte.

Eine solche stärkere diplomatische Einbindung in die Geschicke der Region aber wollen die Hardliner der Islamischen Republik verhindern. Sie haben bestens an dem westlichen Sanktionsregime verdient. Sie wissen, dass sich der latente Unwille der Bevölkerung über die teuren und bedingungslosen Assadhilfen jetzt Bahn brechen könnte. „Die USA haben genau das bekommen, was sie wollten – einen schlechten Vertrag, der gegen die nationalen Interessen des Iran verstößt“, polemisierte der ultrakonservative Teheraner Abgeordnete Alireza Zakani. Das letzte Wort aber hat der Oberste Revolutionsführer Ali Khamenei.

Demonstrativ lud er Präsident Rohani zum Ramadan-Fastenbrechen ein und pries die „rechtschaffenen und harten Anstrengungen“ der Verhandlungsdelegation in Wien. Sein Sprachrohr, die Zeitung „Keyhan“, jedoch schlug bereits deutlich dunklere Töne an. „Unser Volk hat schon viele Verhandlungen und Verträge erlebt. Es gibt keinen Grund, jetzt in Euphorie zu verfallen über diesen Vertrag mit Amerika und dem Westen.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.07.2015)

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