Kriselndes Kuba öffnet sich den USA

Suarez sits under a picture of former Cuban president Castro to watch U.S. President Obama make a statement about Cuba on television, at the Eterna Juventud retirement home in Havana
Suarez sits under a picture of former Cuban president Castro to watch U.S. President Obama make a statement about Cuba on television, at the Eterna Juventud retirement home in Havana(c) REUTERS (ALEXANDRE MENEGHINI)
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Dem diplomatischen Tauwetter müssen wirtschaftliche und politische Reformen folgen. Das kubanische Volk altert rasch, es mangelt an Kapital, modernen Gesetzen und Arbeitsplätzen.

Washington. An der 16th Street im Nordwesten der US-Hauptstadt Washington, zwischen den Botschaften der früheren Sowjetrepublik Litauen und des sich ebenfalls vom Joch des real existierenden Sozialismus befreit habenden Polen flattert seit Montag die Nationalflagge Kubas, eines der letzten kommunistischen Regime der Welt.
John Kerry und Bruno Rodríguez, die Außenminister der USA und Kubas, hüllten ihre sonst oft und vehement vorgebrachte Kritik am anderen (die USA fordern Demokratie und Menschenrechte in Kuba, Kuba will die von den USA gepachtete Marinebasis in der Bucht von Guantánamo zurück) in sanfte Diplomatie: „Es gibt Dinge, die Kuba gerne sehen würde, und Dinge, die wir gerne sehen würde“, sagte Kerry beim gemeinsamen Auftritt im State Department.

Washingtons Interessen an der Beendigung dieses letzten Rests des Kalten Krieges in der Karibik sind dreierlei: Kubas wirtschaftliche und politische Isolation durch die USA dient linksgerichteten lateinamerikanischen Regierungen als simpler Grund, um die Zusammenarbeit in Fragen der regionalen Sicherheits- und Wirtschaftspolitik zu sabotieren. Obamas Berater erhoffen sich größeren politischen Spielraum im Umgang sowohl mit den einzelnen Staaten als auch im Rahmen der Organisation Amerikanischer Staaten.

Wenige erhoffen Demokratie

Zweitens ist das Weiße Haus von der Vorstellung getrieben, dass die schrittweise Öffnung gegenüber dem Regime der greisen Castro-Brüder politische Reformen in Kuba auslösen werde, die in der Einführung der Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit sowie freier Wahlen gipfeln könnten. Dabei dürfte es sich allerdings auf absehbare Zeit um reines Wunschdenken handeln. Laut einer im März veröffentlichten Umfrage der „Washington Post“ glauben nur 37 Prozent der Kubaner, dass sich das politische System der Ein-Parteien-Herrschaft ändern werde. Die Amerikaner sind noch pessimistischer: Nur 32 Prozent gaben in einer Anfang Jänner vom Pew Research Center durchgeführten Umfrage an, der Meinung zu sein, dass Kuba in den nächsten Jahren demokratisch werde.
Das dritte strategische Ziel der US-Regierung – die Stabilisierung der zerbröckelnden kubanischen Volkswirtschaft – hingegen ist nur durch diese Öffnungspolitik zu erreichen. Entgegen den Jubelmeldungen aus Havanna ist Kuba im sechsten Jahrzehnt seit seiner Revolution in einer akuten Krise, die ohne Hilfe von außen nur in schweren sozialen Unruhen und einer massenhaften Flucht der Bürger enden kann.

79 Prozent der im Auftrag der „Washington Post“ befragten Kubaner sagten, dass sie mit dem Wirtschaftssystem unzufrieden seien. 70 Prozent erklärten, sich selbstständig machen zu wollen. Dieser Unternehmergeist entspringt der Paradoxie des planwirtschaftlichen Landes, schreiben Juan Triana Cordoví und Ricardo Torres Pérez von der Brookings Institution: „Es rühmt sich einer Fülle an hochgebildeten und qualifizierten Arbeitskräften, aber sein wirtschaftliches Modell schafft nicht ausreichend viel Beschäftigung – weder in der Menge noch Qualität – oder angemessene Löhne.“
Drei Viertel der kubanischen Wirtschaftsleistung werden vom Staat kontrolliert, von staatlichen Angestellten in staatlichen Unternehmen produziert. Doch dieser Staat engagiert sich immer weniger für die Modernisierung der Ökonomie: 1989 machten staatliche Investitionen noch 14,2 Prozent des Bruttoinlandsproduktes aus. 2012 waren es nur mehr 9,1 Prozent.

Schlüsselrolle für Exil-Kubaner

Kubas Wirtschaft wird ohne ausländisches Kapital weiterhin höchst unproduktiv bleiben und fast ausschließlich Dienstleistungen in Form der schwer unterbezahlten Arbeitskraft ihrer Ärzte und Lehrer exportieren. Und auch dieses propagandistisch eifrig ausgeschlachtete Trumpf-Ass des Castro-Regimes wird bald nicht mehr stechen, denn Kubas Bevölkerung altert rasant. Jetzt schon beträgt das durchschnittliche Alter 54,7 Jahre, warnen Cordoví und Pérez in ihrer Studie. Bis 2025 wird es voraussichtlich auf 67,7 Jahre steigen.

Kuba braucht also dringend Geld, Technologie und Fachkenntnis von außen, idealerweise aus dem Reservoir der rund zwei Millionen US-Bürger mit kubanischen Wurzeln. Sie sind, wie Umfragen zeigen, zusehends für die Öffnung. Nur mehr in der schwindenden Altersgruppe von US-Kubanern über 65 Jahren findet sich eine Mehrheit für die fortgesetzte Isolation.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.07.2015)

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