Amerikas schwarz-weiße Entfremdung

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Das Verhältnis zwischen Menschen unterschiedlicher Hautfarbe ist in den USA heute so zerrüttet wie seit Jahrzehnten nicht mehr. Die Hoffnung, dass sich das unter Obama verbessern würde, hat sich nicht erfüllt.

Carol Watson blickt auf ein Leben zurück, das typisch ist für viele Afroamerikaner, die nach dem Zweiten Weltkrieg im tiefen Süden des Landes aufgewachsen sind. In Mississippi geboren, einem der Bundesstaaten mit der am härtesten durchgezogenen Trennung aller Lebensbereiche entlang der Hautfarbe der Menschen, zog sie in den 1960er-Jahren nach Detroit. Die damals zweitgrößte Stadt der USA prosperierte dank der Automobilindustrie, und so, wie Ford, Chrysler und General Motors schwarze Arbeiter aus dem Süden für ihre Fabriken anwarben, engagierte die Detroiter Schulbehörde massenweise Lehrer für die rasant wachsende Kinderschar der Zuwanderer.

Im Jänner, nach fast fünf Jahrzehnten als Mittelschullehrerin, ist Carol Watson in Pension gegangen. Ihr Blick auf die Vereinigten Staaten ist düster: „Je älter ich werde, desto eher finde ich, dass die Segregation nicht das Schlimmste war“, sagt die resolute Mittsechzigerin im Gespräch mit der „Presse am Sonntag“. „Ich kannte damals in Mississippi meine lokalen Geschäfte, ging auf ein sehr gutes schwarzes College, wo Professoren aus Harvard und vom Massachusetts Institute of Technology unterrichteten, die akademische Credits bekamen, wenn sie im Süden lehrten.“

Watsons Sicht ist natürlich stark vom wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Verfall der Stadt Detroit geprägt, der Anfang der 1970er-Jahre einsetzte. Doch die Resignation angesichts des heutigen Verhältnisses zwischen Schwarzen und Weißen ist eine Tatsache. Seit den Mordanschlägen gegen Bürgerrechtsaktivisten und den darauffolgenden schweren Unruhen in so gut wie allen amerikanischen Großstädten Ende der 1960er-Jahre waren die Rassenbeziehungen nicht mehr so zerrüttet, wie sie es heute sind. Klare Mehrheiten sowohl der Schwarzen als auch der Weißen sind dieser Ansicht, und viele von ihnen meinen, dass die Lage noch schlimmer wird. Die Hautfarbe entscheidet fünf Jahrzehnte nach den Erfolgen der Bürgerrechtsbewegung noch immer darüber, welche Chancen man in den USA hat, ob man in Armut aufwächst und ob man bei jeder Begegnung mit einem Polizisten damit rechnen muss, beamtshandelt zu werden. Die Hoffnung, dass sich die amerikanische Gesellschaft mit der Wahl des ersten Präsidenten gemischter Herkunft gleichsam mit sich selbst versöhnen werde, war trügerisch. Barack Obama konnte noch so oft betonen, dass er weder der Präsident der einen noch der anderen, sondern einzig der Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika sein wolle: In seiner Ära sind Schwarze und Weiße deutlich voneinander abgerückt.

Eine neue Umfrage im Auftrag der „New York Times“ und CBS News fasst diese Befunde in bedrückende Zahlen. 68 Prozent der befragten Schwarzen halten die Beziehungen zwischen den Rassen heutzutage für schlecht. Anfang 2009, nach Obamas Einzug ins Weiße Haus, waren nur halb so viele Afroamerikaner dieser Ansicht. Auch 56 Prozent der Weißen haben heute diese pessimistische Sichtweise.

Ähnlich ist das Bild, wenn man die Frage stellt, wer in der heutigen Gesellschaft die besseren Chancen hat voranzukommen. 60 Prozent der Schwarzen sagen, dass es Weiße leichter haben, nur jeder Dritte von ihnen meint, dass alle die gleichen Chancen haben. Demgegenüber findet jeder zweite Weiße, dass Chancengleichheit herrscht, und nur 39 Prozent von ihnen halten sich für vom Leben und der Gesellschaft bevorzugt.


Der Tod der Sandra Bland. Diese Umfrage zeigt auch, dass Schwarze und Weiße in den USA mehrheitlich noch immer in getrennten Gesellschaften leben. 79 Prozent der Weißen sagen, dass in ihrer Wohngegend höchstens ein paar Schwarze leben. 68 Prozent von ihnen haben gar keinen oder höchstens sporadischen privaten Umgang mit Afroamerikanern.

Am krassesten zeigt sich die gesellschaftliche Spaltung, wenn man nach den persönlichen Erfahrungen mit der Polizei fragt. 41 Prozent der befragten Schwarzen gaben an, schon mindestens einmal nur wegen ihrer Hautfarbe beziehungsweise ethnischen Herkunft von einem Polizisten angehalten worden zu sein. Nur fünf Prozent der Weißen hatten diese diskriminierende Erfahrung gemacht.

Einzig nach dem Freispruch jener weißen Polizisten, die im Jahr 1992 den schwarzen Autofahrer Rodney King bei einer Verkehrskontrolle fast zu Tode geprügelt hatten, waren die Rassenbeziehungen so schlecht wie heute. Damals verbesserte sich die Meinung sowohl schwarzer als auch weißer Amerikaner jedoch binnen eines Jahres, möglicherweise unter dem Eindruck des Amtsantrittes von Bill Clinton, dem die Versöhnung der Gesellschaftsgruppen ein Anliegen war.

Diese Spaltung der Gesellschaft prägt auch die Haltung vieler Menschen in der Frage des Todes von Sandra Bland. Die 28-jährige Schwarze ist vorletzte Woche in Texas von einem weißen Verkehrspolizisten aufgehalten worden, weil sie beim Spurwechseln auf der Autobahn nicht geblinkt hat. Ein Wort führte zum anderen, Bland weigerte sich, ihre Zigarette auszudämpfen, und begann, den Polizisten mit ihrem Handy zu filmen, die Situation entglitt, und Bland landete im Gefängnis. Drei Tage später fand man sie mit einem Plastikmistsack erhängt in ihrer Zelle. Der zuständige (weiße) Gerichtsmediziner erklärte am Freitag, dass es keine Anzeichen für Fremdverschulden gebe; er erwähnte en passant auch, dass man in ihrem Blut Spuren von Marihuana gefunden habe. Auf die Frage, wieso dieses Detail relevant sei, sagte er: „Das ist eine stimmungsverändernde Substanz.“

Gleichzeitig gaben die örtlichen Behörden aber nur widerstrebend zu, dass Bland bei ihrer Einlieferung ins Gefängnis zu Protokoll gegeben hatte, vor einem Jahr nach einer Fehlgeburt einen Selbstmordversuch unternommen und noch immer Depressionen zu haben. Als Bland dem Polizeibeamten während ihrer Festnahme wahrheitsgemäß sagte, sie leide unter Epilepsie, antwortete der bloß: „Gut so.“

„Der Tod von Frau Bland war ein tragisches Ereignis, kein Verbrechen“, erklärte ein weißer Polizeisprecher. „Es war Mord“, sagte der schwarze Pastor Jamal Bryant aus Baltimore.

Zur Person

Sandra Bland.
Am 10. Juli wurde die 28-Jährige in Texas von einem weißen Polizisten angehalten. Der Grund: Sie hatte vor dem Spurwechsel auf der Autobahn nicht geblinkt. Die Amtshandlung entglitt, der Polizist stieß sie zu Boden und verhaftete sie.

Selbstmord.
Drei Tage später fand man Bland erhängt in ihrer Haftzelle. Der Gerichtsmediziner schloss Fremdverschulden aus, doch die Umstände ihres Selbstmordes zeigen schwere Versäumnisse der örtlichen Behörden auf. Bland hatte erklärt, vor einem Jahr nach einer Fehlgeburt einen Suizidversuch unternommen zu haben und unter Depressionen zu leiden. Trotzdem wurde sie im Gefängnis nicht unter besondere Beobachtung gestellt.

EPA

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.07.2015)

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