Syrien: Assad will Neffen nach Protesten hart bestrafen

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Die Alawiten in den Küstengebieten sind der letzte Rückhalt des Präsidenten. Nach einem Mord fordern sie nun die Hinrichtung von Assads Neffen. Der Machthaber verspricht eine "harte Strafe".

Damaskus. Das fünfte Kriegsjahr verläuft für Bashar al-Assad einigermaßen unangenehm. Dass sein engster Verbündeter, der Iran, mit dem Atomdeal im Juli wieder salonfähig wurde, mag dem syrischen Präsidenten noch gefallen haben. Doch auf den Schlachtfeldern reihte sich Niederlage an Niederlage. Heuer haben seine Truppen weite Teile der nordwestlichen Provinz Idlib verloren, ebenso wie die antike Stadt Palmyra. Knapp mehr als die Hälfte des Landes entzieht sich nun der Kontrolle des Alawiten im Damaszener Präsidentenpalast.

Wenn Assad also auf die Landkarte blickt, kann ihm nur der Landstrich entlang des Mittelmeers so etwas wie Zuversicht geben. Dort liegt das Herzland der religiösen Minderheit der schiitischen Alawiten, in diesem Küstengebirge haben seine Truppen noch immer das Sagen. Doch nun gärt es dort in der Hafenstadt Latakia, der mit 400.000 Einwohnern letzten großen Stadt, die uneingeschränkt unter Assads Kontrolle steht.

Verwandter Assads festgenommen

Dass sich sein Neffe zweiten Grades in Latakia wie ein Warlord geriert, war hinlänglich bekannt. Am Donnerstagabend soll dieser 18 oder 19 Jahre alte Jugendliche den Bogen überspannt haben. Mehreren Augenzeugen zufolge fühlte sich Suleiman al-Assad provoziert, als ein Oberst der Luftwaffe seinen schwarzen Hummer überholte. Er soll ihm nachgejagt sein und den Körper seines alawitischen Glaubensbruders mit sieben Kugeln aus dem Lauf einer AK-47 durchsiebt haben.
Und nun gibt es in der Hochburg des Regimes Straßenproteste gegen einen Assad.

Mittlerweile soll Hilal al-Assad festgenommen worden sein, berichtete die staatliche syrische Nachrichtenagentur Sana am Montag. Die Deutschen Presse-Agentur zitierte am Dienstag Regierungskreise mit den Worten: "Präsident Assad ist wütend wegen dieses Vorfalls und entschlossen, seinem Cousin eine harte Strafe zu geben."

Zuvor hatten Angehörige des Opfers bereits erklärt, Assad habe die Bestrafung seines Cousins in Aussicht gestellt. Die Witwe des Opfers, Mayssa Ghanem, sagte der regierungsnahen Zeitung "Al-Watan" vom Montag, sie habe ein "Versprechen von Präsident Assad erhalten, den Täter zu bestrafen, egal wer er ist". Dieses Versprechen sei ihr von "offiziellen Delegationen" überbracht worden, die nach Latakia gekommen seien, um ihr Beileid auszusprechen. 

Ein Teil der mehr als 1000 Demonstranten am Wochenende forderte die Hinrichtung des mutmaßlichen Mörders, auch wenn zugleich dem Präsidenten die Treue bekundet wurde. Und die Demonstranten wollen wiederkommen, jeden Abend, bis sich der Sprössling des Assad-Clans in den Händen der Justiz befindet. Dass dieser Suleiman die Demonstranten auf Facebook als „Hunde“ beschimpft, macht die Sache nicht besser.

Protest gegen Korruption

Doch die Wut der Alawiten beschränkt sich nicht auf den Jugendlichen, dessen Vater in den Achtzigern der Schmuggel von Luxusgütern reich machte und der im Vorjahr als Chef einer halbstaatlichen Milizengruppe in der Provinz Latakia gefallen ist. Der Protest zielt auch auf die Selbstherrlichkeit der Milizionäre, die Korruption der Präsidentenfamilie. Auf Facebook klagt der bekannte oppositionelle Alawit Louay Hussain: „Nicht alle Mitglieder des Assad-Clans sind Verbrecher, aber viele. Sie töten, sie vergewaltigen, sie stehlen, sie beschlagnahmen Eigentum und entführen Frauen (. . .) Das ist eine Mafia, die über dem Gesetz steht. Sie müssen ja nicht einmal den Wehrdienst absolvieren.“

Ein wunder Punkt. Denn die Wut vermengt sich mit der Frustration über einen Krieg, der den Alawiten besonders viele Opfer abverlangte. Zwei Millionen Angehörige der schiitischen Sekte lebten 2011 in Syrien, etwa zehn Prozent der syrischen Bevölkerung. Von den 250.000 alawitischen Männern im kampffähigen Alter soll mittlerweile jeder Dritte getötet worden sein. Auch die ökonomischen Zuwendungen (an immer nur einen Teil der Alawiten) des Assad-Clans versiegen, zumal sich die Kriegskassa leert. Noch hält die Zweckehe zwischen Assad und Alawiten mangels Alternativen. Dabei ging in den ersten Tagen des Aufstands gegen Assads Herrschaft im März 2011 auch ein Teil der Alawiten auf die Straße. Als sich dieser Konflikt immer stärker religiös färbte, flüchteten sie zurück in den Schutz Assads. Die sunnitische Mehrheit sieht in den Alawiten Ketzer.

Assads Armee plagen Personalsorgen

Der Vorfall in Latakia kommt für Assad zur Unzeit. Ende Juli räumte der Präsident erstmals die Notlage seines Militärs öffentlich ein: „Uns fehlt Personal“, erklärte Assad und „manchmal müssen wir Gebiete aufgeben, um unsere Kräfte auf die Regionen zu konzentrieren, die wir halten wollen“. Am Wochenende vertrieb ein Bündnis islamistischer Gruppen um den syrischen al-Qaida-Ableger al-Nusra die Regimetruppen aus mehreren Dörfern nordwestlich der Stadt Hama, die diese zuvor in einem der wenigen Lichtblicke für Assad erobert hatten. Die Ghab-Ebene, in der die Dörfer liegen, ist ein Schlüssel zur Verteidigung der anschließenden Küstengebiete von Assads frustrierten Alawiten.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.08.2015)

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