Der IS soll die Ruinen des Baal-Tempels in Palmyra teilweise gesprengt haben. Schon Goethe bewunderte sie, Gelehrte und Revolutionäre in Europa machten den Ort zum (politischen) Mythos: Wie das Abendland Palmyra wiederentdeckte.
Ein Tempel mit griechischen Säulen, aber lauter arabischen Zinnen auf dem altorientalischen Dach – „das ist wie ein Stephansdom mit Minarett drauf!“ Für den Archäologen Andreas Schmidt-Colinet ist das größte Heiligtum des antiken Palmyra der einst mit herrlichen Reliefs verzierte Baal-Tempel, ein unvergleichliches Beispiel dafür, wie die unter römischer Hoheit stehende Wüstenstadt Ende des 1. Jh. altorientalische und griechische westliche Kultur verband. Hinter einem Scheingiebel versteckte sich ein Dach wie von einem parthischen Heiligtum; der Eingang war, anders als bei den Griechen, auf der Längsseite, „und innen laufen Sie mit dem Kopf gegen die gegenüberliegende Wand, der Bau hat eine Knickachse, die zwei Kultnischen sind seitlich!“
Besser gesagt, waren. Bis zur Zerstörung durch IS-Extremisten konnte man noch die Fischgrätmuster rund um die Nischen erkennen – wie viel von den Tempelruinen nun noch weiter zerstört wurden, war am Montag noch ungewiss. Am Sonntag hätten die Barbaren den Tempel teilweise gesprengt, teilte die in England ansässige Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte mit. Es seien keine größeren Schäden zu sehen, berichtete wiederum die syrische Antiquitätenbehörde.
Auf der Spur Homers zur Ruinenstadt
Die Zerstörung der Überreste des antiken Palmyra in den vergangenen Monaten hätte jedenfalls schon um 1800 Dichter und Gelehrte Europas zur Verzweiflung gebracht. Goethe erzählt in seiner „Italienischen Reise“ von seiner Begegnung mit einem französischen „Architekten“, der ihm beeindruckende Zeichnungen von seinem Aufenthalt in Palmyra gezeigt habe. Es war der französische neoklassische Landschaftsmaler Louis-François Cassas, der die Denkmäler auf seinen Bauaufnahmen exakt vermessen und wiedergegeben hat – und dieser wiederum war durch vier Engländer auf Palmyra gekommen.
Robert Wood, James Dawkins und zwei weitere Forschungsreisende hatten sich schon 1751 von Rom aus in den Orient aufgemacht, sie wollten die Originalschauplätze antiker Dichter wie Homer finden – und fanden dabei auch Palmyra. Ihr Prachtband „The Ruins of Palmyra“ machte Furore, die antikebegeisterten Europäer bestaunten die nie gesehene architektonische Mischung aus Orient und Okzident, die im Vergleich etwa zu den römischen erstaunlich gut erhaltenen Ruinen. Von einem vergessenen Reich, das jahrhundertelang in der Wüste gelegen sei, schwärmten die Autoren, und – in einer Mischung aus Historie und Fantasie – von der wunderschönen, gelehrten und seelenvollen Königin Zenobia. Diese Frau eines von den Römern eingesetzten palmyrenischen Fürsten kämpfte im 3. Jahrhundert gegen die Römer und ging unter, wie Palmyra, das von Kaiser Aurelian zerstört wurde. Die Römer hätten nur Lügen über sie verbreitet, meinten die Autoren, und man müsse endlich ihre „wahre Geschichte“ erzählen.
Palmyra-Mode in den Jakobinerklubs
Diese „wahre Geschichte“ war eine höchst willkommene für die britischen Aufklärer; Mit Zenobias Palmyra hatten sie eine antike Oase politischer Freiheit gefunden, einen wahrhaft „republikanischen“ Ort, von dem aus sie die gegenwärtigen Tyrannen in Europa kritisieren konnten. Kein Wunder, dass auch ein französischer Revolutionär begeistert über Palmyra schrieb, der 34-jährige Graf Constantin François de Volney. Die Ruinen von Palmyra inspirierten ihn zu dem 1791 nach der Französischen Revolution veröffentlichten Werk „Die Ruinen, oder Betrachtungen über die Revolutionen der Reiche“, in dem er über die Gründe für den Verfall blühender Zivilisationen sinniert. Bald wurde das Buch in den Jakobinerklubs Europas herumgereicht. „Ihr Ruinen legtet, indem ihr Fürstenstaub mit Sklavenstaub vermengtet, Zeugnis ab für den heiligen Lehrsatz der Gleichheit“, schreibt er darin – die Ruinen von Palmyra werden zur Warnung an Monarchen und Adelige.
Die Ruinenlust der Romantiker trug gewaltig zu diesem Palmyra-Mythos bei – der sich Anfang des 19. Jahrhunderts unter englischen Gebildeten so etabliert hatte, dass der junge Dichter Thomas Love Peck einem Gedichtband diesen Namen gab; die Ruinenstadt bringt ihn zu Memento-mori-Meditationen, wie schon Volney in seinem „Ruinen“-Buch. Auch auf die Architektur wirkte sich die neue Palmyra-Mode aus. Wood und seine Kollegen hatten „The Ruins of Palmyra“ auf Englisch und Französisch veröffentlicht, die genauen Architekturzeichnungen waren damals etwas Neues – sie zählen zu den frühesten systematischen Publikationen antiker Architektur außerhalb Italiens. Nicht nur in England beeinflussten sie die klassizistische Architektur. Das kann man heute noch sehen, etwa im Londoner Herrenhaus Osterley Park, wo die Deckengestaltung teilweise von den Deckenmalereien des Baal-Tempels inspiriert ist; oder im Weimarer Stadtschloss, an dessen Wiederaufbau Goethe beteiligt war – für die Innendekoration übernahm Architekt Heinrich Gentz Motive aus dem Palmyra-Band.
Makaber, dass vielleicht nicht nur die Anhänger der Aufklärung und der Revolution im Europa des ausgehenden 18. Jahrhunderts Palmyra als Ort politischer Freiheit verklärt haben, sondern auch IS-Milizen. Zumindest meint das der US-Althistoriker Glen Bowersock. Der Widerstand Zenobias gegen die römische Besatzung habe auch im arabischen Raum einen mythischen Touch, als historische Vorlage für den Kampf gegen westliche Unterdrückung. So kündigten die IS-Extremisten anfangs nur die Zerstörung von „Götzenbildern“ an, nicht die der Bauten. Auch das ist nun vergessen.
Der Gott Baal
Das Wort Baal – auch Bel – stand in vielen alten semitischen Sprachen für Herr, Meister, Gott, es konnte auch als Titel für jeden Gott verwendet werden. Zahlreiche Namen, etwa Hannibal oder Balthasar, und auch die Bezeichnung Beelzebub für den Teufel leiten sich von ihm ab. Meist war Baal ein Berg-, Wetter- und Fruchtbarkeitsgott, er wurde gern als Stier dargestellt, die Göttin Astarte galt in etlichen Kulten als seine Gattin. Auch im alten Israel wurde Baal verehrt, die alttestamentarischen Propheten wetterten dagegen. Ob auch das goldene Kalb, das Moses zerschmetterte, eine Baal-Darstellung war, ist umstritten.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.09.2015)