Deutschland will Flüchtlingsansturm bremsen

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2100 Polizisten wurden laut "Bild"-Zeitung bereits an die Grenze nach Österreich entsandt, ab 17 Uhr wird der Zugverkehr nach Deutschland eingestellt.

Deutschland steht offenbar vor einer Kurskorrektur in der Flüchtlingspolitik: Innerhalb der Bundesregierung verständigte man sich nach Informationen der „Presse“ am Wochenende darauf, dass Deutschland nicht mehr ungebremst Menschen aufnehmen könne. Dazu sollen rasch konkrete Maßnahmen getroffen werden, die noch heute, Sonntag, in Kraft treten sollen. Gedacht ist dabei auch an temporäre Grenzkontrollen.

Die deutsche Bundespolizei entsendet auf Aufforderung von Bayern 2100 Polizisten in den Grenzraum zu Österreich, berichtet die "Bild"-Zeitung online am Sonntag. Deutschland führe vorrübergehend wieder Grenzkontrollen ein und mache "die Grenzen zu Österreich dicht", berichtet das Boulevardblatt unter Berufung auf Sicherheitskreise.

Zugverkehr nach Deutschland eingestellt

Außerdem wolle man mit Kontrollen im grenznahen Bereich auch zu Tschechien und Polen beginnen, um eine Umgehung der Grenzkontrollen zu Österreich zu verhindern, heißt es in dem Blatt. Der deutsche Innenminister Thomas de Maiziere kündigte für 17:30 Uhr eine Erklärung an.

Der Schengen-Grenzkodex sieht die Möglichkeit vor, "im Falle einer schwerwiegenden Bedrohung der öffentlichen Ordnung oder inneren Sicherheit", temporär wieder Grenzkontrollen einzuführen. Diese Maßnahme ist auf 30 Tage begrenzt oder solange die Bedrohung andauert, die EU-Kommission sowie die anderen EU-Staaten müssen informiert werden.

Zudem stellt Deutschland ab 17 Uhr den Zugverkehr nach Österreich ein. Über das weitere Vorgehen wird beraten. Derzeit sind 1800 Flüchtlinge in Railjets unterwegs nach Deutschland.

Faymann-Sprecherin dementiert

Eine Sprecherin von Bundeskanzler Werner Faymann (SPÖ) hat am Sonntag zurückgewiesen, dass Deutschland die Grenzen für Flüchtlinge völlig dicht machen könnte. "Davon war nie die Rede", sagte sie zur APA. Es war aber keine Einschätzung zu erhalten, was die angekündigten Maßnahmen - laut Bundeskanzleramt will Deutschland "zur Normalität zurückkehren" - für den Flüchtlingstransit bedeuten könnte.

Faymann und seine deutsche Amtskollegin Angela Merkel hatten am Sonntag Kontakt, bestätigte seine Sprecherin. Sie widerspricht aber der Darstellung, dass Deutschland zu einem bestimmten Zeitpunkt und abrupt Grenzkontrollen einführen und einreisewillige Flüchtlinge abweisen könnte. "Wir haben immer gesagt, das geht schrittweise. Das geht nicht von heute auf morgen." Merkel selbst habe wiederholt erklärt, es dürfe zu keinem Chaos kommen.

"Schrittweise" also soll wieder "Normalität" einkehren - also stichprobenartige Kontrollen im Grenzraum, wie es sie schon lange gibt. Was allerdings dieser Plan für die Weiterreise der Flüchtlinge bedeutet, dazu gab es im Bundeskanzleramt keine Einschätzung bzw. keine klare Antwort, auf die Frage, ob die Züge nach Deutschland weiterhin fahren könnten. "Im Bundeskanzleramt ist man überzeugt, dass es eine kontrollierte und unaufgeregte Vorgangsweise geben wird", so das Statement dazu. "Wir rechnen auf keinen Fall mit irgendwelchen chaotischen Zuständen an der Grenze." Auch Österreich habe ja Kontrollen wieder aufgenommen, ohne dass es einen Rückstau nach Ungarn gegeben habe. Und schließlich müsse man auch die Bemühungen gegen Schlepper weiter verstärken.

Durchreise nur Ausnahme

Dass die unkontrollierte Durchreise nach Deutschland nur eine Ausnahme sei, haben Berliner Regierungsvertreter schon zuvor klargemacht, so auch Merkel selbst in einem Gespräch mit Ungarns Premier Viktor Orbán am 5. September. Nun ist offenbar der Zeitpunkt gekommen, wo diese Ausnahmesituation beendet werden soll. Alleine in München waren am Samstag 12.000 Flüchtlinge angekommen.

In einer ersten Maßnahme sollen Flüchtlinge, die vom Westbalkan selbst stammen, in einem beschleunigten Verfahren abgeschoben werden. Es handelt sich ja dabei um Länder, die bereits in der einen oder anderen Form im Annäherungsprozess mit der EU stehen.

Grenzkontrollen Problem für Österreich

Zweitens soll es aber auch ein deutliches Signal an jene Flüchtlinge geben, die sich noch in der Türkei oder in Flüchtlingslagern im Nahen Osten befinden, dass sich das Zeitfenster für eine unkontrollierte Einreise nach Deutschland schließt.

Am Sonntag sagte auch Deutschlands Verkehrsminister Alexander Dobrindt, dass "die Grenzen der Belastbarkeit erreicht" seien: "Jetzt sind wirksame Maßnahmen nötig, um den Zustrom zu stoppen." Dazu gehöre Hilfe für diejenigen Länder, in die die Flüchtlinge in ihrer Not als erstes geflohen seien, sowie eine wirksame Kontrolle der deutschen Grenzen - "weil auch wegen des Totalversagens der EU der Schutz der EU Außengrenzen nicht mehr funktioniert".

Temporäre Grenzkontrollen würden wiederum Österreich vor gewaltige Probleme stellen, weil damit eine geordnete Weiterreise der aus Ungarn hier ankommenden Flüchtlinge nicht mehr möglich wäre.

Aus den Ländern war zuletzt immer stärkere Kritik an Merkels Flüchtlingspolitik gekommen: So hatte ein - namentlich nicht genannter - Innenminister gesagt, die Länder seien von Merkels großzügiger Einreiserlaubnis "überrumpelt" worden.

Bayern drängte auf Maßnahmen

Auf die Manßnahmen gedrängt hat vor allem auch Bayern, das am stärksten betroffene deutsche Bundesland. Fast alle über die Balkanroute kommenden Flüchtlinge landen via Ungarn und Österreich zunächst in München landen. Und dort ist man nun am Limit – und wirft den anderne Bundesländern mangelnde Solidarität vor: Am Samstag seien lediglich acht Busse mit in Summe 400 Menschen in andere Bundesländer gestartet: „Das ist einfach lächerlich“, zitiert die Zeit Münchens Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD).

Die neuerliche Zuspitzung der Flüchtlingskrise fällt mit dem Oktoberfest zusammen, zu dem in München sechs Millionen Besucher erwartet werden. Bayernms Innenminister Joachim Herrmann hatte deshalb eine deutliche Verstärkung der Bundespolizei in Bayern verlangt: "Wenn vor allem abends und am Wochenende dann stark alkoholisierte Wiesnbesucher auf so viele Flüchtlinge treffen wie in den letzten Tagen, könnte es eng werden".

Bereits am Samstag hatte sich die Kurskorrektur Deutschlands angekündigt: Deutschlands Kanzlerin Angela Merkel, derzeit die Heldin vor allem syrischer Kriegsflüchtlinge hatte klargestellt: Die Europäische Union werden denen Schutz gewähren, die aus einem Bürgerkrieg fliehen oder politisch verfolgt seien: „Wer aber nicht schutzbedürftig ist, wer aus wirtschaftlichen Gründen kommt, der kann keine Bleibesperspektive bei uns haben. Das müssen wir ganz klar sagen."

(Rainer Nowak/Helmar Dumbs/APA)

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